Monat: Dezember 2020

Karls Wohlgestalt – ein Weihnachtsrätsel für stille Zeiten

von Heribert Illig

Karls Biograph Einhard soll zwei Jahrzehnte am Hofe Karls gelebt haben; so konnte er aus eigener Anschauung schreiben:

„Sein Körper war ansehnlich und stark, seine Größe stach heraus, ohne das rechte Maß zu überschreiten (denn bekanntlich betrug seine Länge sieben seiner Füße)“ [Vita Karoli, c. 22, laut Pat­zold 2013, 22].

Da ich bei Patzold nicht finden konnte, welche Übersetzung er gewählt hat, zitiere ich dieselbe Passage auch in der Übersetzung von Evelyn Scherabon Firchow:

„Karl war kräftig und stark, dabei von hoher Gestalt, die aber das rechte Maß nicht überstieg. Es ist allgemein bekannt, daß er sieben Fuß groß war.“ [Vita Karoli, c. 22]

Der Bezug zur vermeintlichen Realität ist schwierig, ermöglicht das kopflose Skelett im Aachener Karlsschrein eine doch recht variable Körperlänge: zunächst 2,14 m, dann 1,92 m, dann 1,82 m, dann 1,84 m [vgl. Illig 1999, 46]. Furcht und Schrecken kamen auf, als laut Untersuchung von 2010 der Tote „wohl eher eine schlanke Statur aufwies und eine grazile Person war“ [vgl. Illig 2014, 71], denn das wollte nicht zu dem Hünen passen, der ununterbrochen ritt, kämpfte, schwamm und vier Hufeisen auf einmal biegen konnte [Illig 1998, 49]. Demnach kann es sich nicht um Karls Skelett handeln; im schlimmsten Falle um das eines Verbrechers, den der Scharfrichter einst geköpft hat. Diese Fatalität wurde von Aachen wie von den Mediävisten rasch übergangen.

1993 war bis zur Boulevardpresse durchgedrungen, dass bei dem Maß von 7 Fuß Karl eigentlich zu kleine Füße gehabt hätte. So kam es zu der Schlagzeile: „Karl der Große (Schuhgröße 42) ˑ Hat er nie gelebt?“ [Martin 1993; vgl. Illig 1998, 46]. Weiter hatte ich über die Relation von Körpergröße zu Fußlänge damals nicht nachgedacht.

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Aktueller Nachtrag zu „Virtuelle, aber rekonstruierbare Panzerreiter“

von Heribert Illig

Clauss, Martin (2020): Militärgeschichte des Mittelalters; Beck, München. 128 S., 6 Abb., 9,95 €

Es sei einmal erlaubt, einen Wissenschaftler über seinen Vater einzuführen. Manfred Clauss (*1945) forscht und lehrte als Althistoriker; er begegnete uns bei Konstantin dem Großen ebenso wie beim Mithras-Kult oder bei Ramses dem Großen. Sein Sohn Martin Clauss (*1973) hat sich der Mediävistik verschrieben. Von ihm erschienen mehrere Bücher über den „Krieg im Mittelalter“. Heuer folgte eine kleine, konzentrierte Darstellung über die „Militärgeschichte des Mittelalters“. Was kann er uns über das Auftreten der Panzerreiter sagen?

Merowingerzeit: „Sicher ist, dass Pferde genutzt wurden, um Krieger und Material zu transportieren. Weniger eindeutig lässt sich die Frage beantworten, ob die Heere der Merowinger zu Fuß oder zu Pferd kämpften“ [C. 17].

Karl Martell: „Die Franken kämpften bei Tours und Poitiers zu Fuß in einer geschlossenen Formation, gegen welche die Araber anritten“ [C. 25].

Karl der Große: „Je nach Kriegskonstellation wurden unterschiedliche Truppen eingesetzt, mal beritten, mal zu Fuß“ [C. 31]. Er verhängte hohe Strafen für Diebstahl oder Verletzung von Kriegspferden. „Dies weist nicht zwingend darauf hin, dass die karolingische Schlachttaktik auf berittenen Kämpfern basierte, sondern belegt lediglich, dass es speziell für den Krieg benutzte Pferde gab und wie wertvoll sie waren“ [C. 34].

Heinrich I.: Gegen die Ungarn „brauchte Heinrich größere Kontingente berittener Kämpfer. Zum Jahr 932 vermerkt Widukind: »Da der König jetzt aber im Reiterkampf bewährte Kämpfer hatte«“ [C. 37].

Otto II.: Zum Jahr 981 sind im Indiculus Ioricatorum „die berittenen, gepanzerten Krieger verzeichnet“, die bedeutende Fürsten dem Kaiser zuführen mussten. „Insgesamt sind 2090 gepanzerte Reiter aufgeführt“ [C. 39].

Rittertum: „Im Verlauf des 11. und 12. Jahrhunderts entwickelte sich ein Phänomen, das für die mittelalterliche Militärgeschichte und für die Rezeption der Epoche zentral ist: das Rittertum. Eine seiner wesentlichen Wurzeln waren die Reiterkrieger“ [C. 46]. „Seit dem 11. Jahrhundert entstanden zahlreiche Erzählungen, Romane und Gedichte rund um das Thema“ [C. 47]. „Ritter (französisch chevaliers) waren Reiter-Krieger, deren Stellung auf dem Kampf zu Pferd (französisch cheval) basierte. Seit der Karolingerzeit hatte die Bedeutung dieser Kämpfer zugenommen“ [C. 47]. „Daher gehörten zur Ausrüstung eines Ritters mindestens drei Pferde: neben dem Kriegspferd ein Reit- und ein Transportpferd“ [C. 48]. „Der Kriegeradel bezog seine gesellschaftliche Vorrangstellung daraus, dass er die anderen Gruppen schützte – mit Waffengewalt. Im Unterschied zur Karolingerzeit ist hier kein Platz mehr für Bauernkrieger“ [C. 49]. „Die Kampfweise eines gepanzerten Reiters mit Lanze und Schwert“ [C. 50].

Unschwer ist an diesen Zitaten zu erkennen, dass es Panzerreiter zu Karls d. Gr. Zeit nicht gegeben haben kann, zumal die seiner Zeit zugeschriebenen Schriftquellen dubios sind. Deshalb wird die im Kloster Lorsch betriebene Rekonstruktion eines Panzerreiters auch in fünf Jahren keinen Erfolg haben. Ebenso sicher ist, dass wir diesen rekonstruierten Panzerreiter dann gezeigt bekommen. War­um sich um einstige Realität scheren? Oder gar um die Fiktionalität einer Epoche?

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Karl der Große als ‚listenreicher‘ Regent? Steffen Patzold widerlegt sich selbst

Eine Rezension von Heribert Illig

P. = Patzold, Steffen (2020): Wie regierte Karl der Große? Greven, Köln, 128 S., davon 66 Textseiten, 6 Farbabb., 10,- €

Die Frage ist überaus berechtigt: Wie kann ein Riesenreich von einer Million Quadratkilometern regiert werden, wenn der reitende Bote die schnellste Verbindung zwischen zwei Orten darstellt. Pat­zolds Antwort überrascht: Die primären Regierungsinstrumente der Karolinger seien Per­gamentlisten und Kriege gewesen.

Kriege

„Krieg war der Kern ihrer Politik“ [P. 12], permanent Kriege. Patzold geht darauf nicht weiter ein. Nicht nur er übergeht, dass z.B. ein 30-jähriger Krieg gegen die durchwegs bäuerlichen Sachsen mit Sicherheit mangels Beute ein Reich zerstört hätte – nämlich das Fränkische Reich. Die paar Ochsenkarren voller Awarenschätze konnten dieses Fiasko nicht ausgleichen, zumal niemand Steuern zahlte [P. 13]. Außerdem musste der König bzw. Kaiser über den christlichen Glauben wachen, Voraussetzung für seine missionarischen Kriege gegen Bretonen, Dänen, Slawen, Sarazenen und Awaren. Auch die Sachsen mussten missioniert werden, deshalb das Blutgericht bei Verden an der Aller. Während dieses Geschehen noch heute manches Gemüt bewegt, sind Untaten gegen Christen völlig vergessen. Einmal das Blutgericht von Cannstatt: 746 ließ Karl Martells Sohn Karl­mann „viele tausend aufständische Stammesführer (mit Gefolgschaft) wegen Hochverrats festnehmen und hinrichten“ [wiki: Blutgericht zu Cannstatt]. In diesem Fall handelte es sich um bereits getaufte Alamannen. 761 hat dann Pippin d. J. die Stadt Clermont berannt; sie ging im Brand unter und wurde ausgemordet. Hier starben getaufte Aquitanier [Clauss, 9]. Aus Sicht des erfundenen Mittelalters sind beide Ereignisse fiktiv. Doch wir folgen im Weiteren Pat­zolds herkömmlicher Sicht.

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