von Heribert Illig
Es gibt einen albernen Witz, bei dem es um die Empfindungen eines Menschen geht, den ein Feuerwehrauto verfolgt, gejagt von einem Hirsch, einem Löwen und einem weißen Elefanten. Er bekommt dann den guten Rat, vom Kinderkarussell abzusteigen und deutlich weniger zu trinken. Ein kleiner Gag, den Rainer Maria Rilke viel früher in deutlich schönere Verse gegossen hat, etwa:
„Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
nur dass er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.
Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
und hält sich mit der kleinen heißen Hand
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.
Und dann und wann ein weißer Elefant.“
Es gibt einen weiteren Schriftsteller, der sich der Sache angenommen hat. Heinrich Heine (1797–1856) lag an die acht Jahre in seiner „Matratzengruft“, körperlich immer weiter verfallend, aber geistig völlig unbeeindruckt. Das schließt die von ihm gefürchtete Syphilis-Erkrankung aus; selbst aktuelle Diagnosen schwanken ratlos zwischen TBC, MS oder Bleivergiftung. In diesem grässlichen Zustand gelang es ihm, seinen letzten Gedichtband, Romanzero, 1851 zum Druck zu bringen. Selbst dieser Romanzero wurde in Österreich gleich verboten, in Preußen beschlagnahmt; so groß war noch immer die Angst vor der schärfsten deutschen Zunge. Dabei geht es im Romanzero um geschichtliche Ereignisse von oft anekdotischem Inhalt, um Krankheit und Tod und um Gedichte mit ungebrochen jüdischer Thematik. Doch die Obrigkeit fürchtete jeden falschen Zungenschlag in Hinblick auf aktuelle Politik oder gesellschaftliche Missstände [wiki: Romanzero].
Dabei birgt zumindest „Der weiße Elefant“ bei Heine keine gesellschaftlichen Fußangeln. König Mahawasant kann dank seiner unermesslichen Reichtümer mit keinem europäischen Fürstenhaus verglichen werden, denn der Regent von halb Indien und Siam hatte nur einen Kummer:
„Öffentlich freilich pflegt er zu jammern,
Es fehle an Raum in seinen Schatzkammern.“
„Das Kostbarste aber von allen Schätzen
Des Königs, sein Glück, sein Seelenergötzen,
Die Lust und der Stolz von Mahawasant,
Das ist sein weißer Elefant.“
Dementsprechend wird das Haustier verhätschelt: Unter goldenem Dach bedienen ihn dreihundert Trabanten und einhundert schwarze Eunuchen mit den leckersten Bissen und edelstem Wein aus silbernen Eimern, er wird gesalbt und mit Blumen ebenso wie mit Kaschmirschals geschmückt. Und da geschieht das völlig Ausgeschlossene:
„Das edle Tier, man weiß nicht wie,
Versinkt in tiefe Melancholie.“
Schließlich muss der Astrologe seine Diagnose abgeben. Bei Gefahr sein Haupt zu verlieren, muss er mitteilen, dass den Elefanten das Traumgesicht von einer herrlichen Frau plage:
„Es lebt im Norden ein schönes Weib
Von hohem Wuchs und weißem Leib,
Dein Elefant ist herrlich, unleubar,
Doch ist er nicht mit ihr vergleichbar.“
„Gräfin Bianka ist der Name
Von dieser großen weißen Dame;
Sie wohnt zu Paris im Frankenland,
Und diese liebt der Elefant.“
Der König stemmt sich nicht gegen diese Deutung und, großmütig wie er ist, lässt er den Elefanten ziehen. Schließlich geht es um Leben und Tod:
„Er hüstelt schon, er magert ab,
Die Sehnsucht schaufelt sein frühes Grab.“
Und so nimmt der König würdevoll Abschied von seinem weißen Elefanten und lässt ihn, begleitet von den Schätzen des Orients – d.h. von einem Kreditbrief auf Rothschild frères in der Rue Lafitte – eilends ziehen. So wollte es der König. Und so lautet die letzte Strophe:
„Was er beschlossen, das kann ich erzählen
Erst später; die indischen Mall’posten fehlen.
Die letzte, welche uns zugekommen,
Die hat den Weg über Suez genommen.“
In Paris ist das edle Tier nicht angekommen, vielleicht hat es vorgezogen, in Suez nach Süden abzubiegen und statt einer imaginierten Frau doch lieber eine leibhaftige Elefantenkuh aufzuspüren. Wir aber wissen, dass Heine nur auf eine viel ältere Geschichte anspielte: auf Karl den Großen und seinen weißen Elefanten. 2003 hat Aachen dem edlen Tier sogar eine fulminante Ausstellung gewidmet, begleitet von einem Roman von Filo M. Abraham und sogar von einer Biographie. Die Wissenschaft dokumentierte stolz, dass sie über Abul Abbas, seinen Treiber Isaak und seinen Weg genau Bescheid wisse. In den Worten eines wissenschaftlichen Querulanten:
„Byzanz versperrt dem Dickhäuter sowohl den Landweg wie den direkten Seeweg ins Frankenreich. Also marschieren Isaak und Abul Abbas fürbass. Von Bagdad geht es den Euphrat entlang, dann biegen sie links ab nach Jerusalem. Von dort ziehen sie ans Meer und in verhaltenem Trab durch den Gaza-Streifen bis zum Nildelta. Leider wissen wir nicht, ob sie die Nilarme durchwaten, durchschwimmen oder die Fähre nehmen. […] Bis Alexandria sind ca. 1.000 km zurückgelegt. Es schließen sich 2.735 Straßenkilometer bis Kairouan südlich von Tunis an. Im für Aachen nächsten Hafen, vermutlich Karthago, fand sich kein passender Elefantentransporter. Was nun?
»Isaak saß fest. Doch er wusste sich zu helfen: Er schickte eine Nachricht an Karl. Der ließ eine Spezialflotte bauen und die Gruppe mitsamt Elefant in Nordafrika abholen« [Delonge].
Welch‘ Glück, wenn ein Karl für einen sorgt, der bis dato nur kleine, über Land ziehbare Flusskähne benutzt hat, aber natürlich auch Pläne für Spezialfrachtschiffe parat hält. Der Rest war einfach. Bei La Spezia, noch heute in Kriegshafen, erreichte man ungefährdet das fränkische Ligurien.
»Über Genua und Pavia ging es zum Überwintern nach Vercelli und von dort wohl über den Großen St. Bernhard über die Alpen [400 km]. Bis Aachen war es dann nur noch ein Kinderspiel« [Delonge]“ von 550 km. [Illig 2003, 396 f.]
Viel einfacher wäre es freilich für Elefant und Treiber gewesen, von Marseille die Rhone, Saône und Maas entlang zu marschieren, nämlich 2.000 Höhenmeter weniger. Dann hätte er an der Maas ebenso gut nach Paris wie nach Aachen trotten können. Aber unter Karl war Aachen unvermeidlich.
So blieb zu Kaiser Karls Zeiten Paris ohne Dickhäuter. Insofern musste Kaiser Napoleon persönlich einen schwarzen Elefanten auf den Platz der Bastille zu stellen. Doch das erwies sich selbst für einen Kaiser als zu schwierig. Das Projekt war zwar schnell projektiert: eine Brunnenanlage, darin ein majestätischer Bronzeelefant, insgesamt 15 Meter hoch. Doch es blieb bei einer Gipsattrappe, die sich gleichwohl über 30 Jahre lang, von 1814 bis 1846 behauptete. Vom Abriss geschützt wurde sie durch Ratten, die sie angeblich zuhauf bewohnten. Heine wusste auch darüber Bescheid und schrieb 1842:
„Es ging nämlich unter dem Volk das unheimliche Gerücht von einer ungeheuren Anzahl Ratten, die sich im Innern des Elefanten eingenistet hätten, und es sie zu befürchten, daß, wenn man die große Gipsbestie niederreiße, eine Legion von kleinen, aber sehr gefährlichen Scheusalen zum Vorschein käme, die sich über die Faubourgs Saint-Antoine und Saint-Marceau verbreiten würden. Alle Unterröcke zitterten bei dem Gedanken an solche Gefahr […]
Sonderbares Land! Wo trotz der allgemeinen Zerstörungssucht sich dennoch manche Dinge erhalten, da man allgemein die schlimmeren Dinge fürchtet, die an ihre Stelle treten könnten! Wie gern würden sie den Ludwig Philipp niederreißen, diesen großen klugen Elefanten…“
hinter dessen Untergang die Republik lauert oder gar das Chaos nach der Republik.
Wenn die französische Zensur solches durchließ, hieß das noch lange nicht, dass rechts des Rheins ein Romanzero geduldet worden wäre. Schließlich wurde in dem Schandbuch das Ansehen Kaiser Karls des Großen besudelt. Nein? Doch. Irgendwie!
Literatur
Aachen (2003): Ex oriente ∙ Isaak und der weiße Elefant; Ausstellung bis zum 28.09.2003
Abraham, Filo Mordechai (2003): Isaak und der weiße Elefant; Mayer, Aachen
Delarue, Marie (1999): Un pharaon républicain ∙ Les Grands Travaux de Mitterand ∙ Enquêtes; Grancher, Paris
Delonge, Hermann-Josef (2003): Realpolitik zwischen Aachen und Bagdad; in: Aachener Zeitung, 07.06.
Hack, Achim Thomas Hack (2011): Abul Abaz. Zur Biographie eines Elefanten; Badenweiler
Heine, Heinrich (1851): Der weiße Elefant; in: Romanzero ∙ Erstes Buch ∙ Historien, 335-339. In: Heinrich Heine ∙ Gesammelte Werke ∙ Erster von drei Bänden (1928); Voegel; Berlin
– Essays II, Über Frankreich. 2. Teil: Lutetia, Abschnitt L (1842)
Illig, Heribert (2003): Dickhäuter und Schweigegeld ∙ Phantomzeitdebatte? Zeitensprünge, 15 (2) 396-405
Rilke, Rainer Maria (1906): Jardin du Luxembourg, Paris; https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Karussell
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