Pharao Mitterand und Kaiser Augustus – Ein Nachtrag zu „Gregors Kalenderreform 1582“

von Heribert Illig

François Mitterand, Präsident von Frankreich von 1981 bis 1995, hat mit Amtsbeginn ein gewaltiges Bauprogramm angestoßen. Macht so etwas nur ein Mann, der sich noch viele Jahre an der Macht wähnt? Weit gefehlt. Wie nach seinem Tod entdeckte Dokumente zeigen, war ihm bei Amtsübernahme sein Prostatakrebs bereits bekannt. Die Ärzte gaben ihm eine infauste Prognose: noch drei Jahre. Doch Mitterand ließ wiederholt Dokumente fälschen, um trotzdem an der Macht bleiben zu können. Und so konnte er seine erste Amtsperiode 1981 und die zweite 1988 antreten und 1995 erfolgreich beenden.

Hier geht es nicht um sein Wirken als Präsident, ebenso wenig um seine Rolle in Vichy-Frankreich oder um sein bigamisches Leben, sondern um die Grands Travaux, die großen Arbeiten, die er gleich nach Amtsantritt ankündigte. Dazu gehören Bauten, die in Paris entstanden, um Frankreichs Rolle in Kunst, Politik und Ökonomie am Ende des 20. Jahrhunderts zu symbolisieren. Mitterand begann absolute Großprojekte: die Pyramide des Louvre mit einem kompletten Untergeschoss und neuen Museumssälen (1985–1989), das Ministerium für Finanzen und Wirtschaft (eingeweiht 1988), die Opéra Bastille (1984–1989), den Grande Arche de La Défense (1984–1989) – schließlich sollte die 200-Jahr-Feier der Französischen Revolution gebührend begangen werden. Die Bibliothèque nationale de France wurde schließlich 1996 eröffnet.

Pyramide des Louvre

Die Pyramide im Louvre brachte Mitterand schnell den Spitznamen Pharao oder den Buchtitel „Un Pharaon Républicain“ [Delarue, 1999] ein. Doch so hochragend manche Projekte in den Himmel griffen – 79 m die Bibliothek, 111 m die Grande Arche – es gibt gleichermaßen Versenkung, Eintiefung. Das gilt bereits für das bekannteste Bauwerk, das unterirdische Vestibül des Louvre, jährlich von 10 Millionen Besuchern benutzt. Unter der Glas-Pyramide mit dem Neigungswinkel der Cheopspyramide befindet sich ein riesiges Untergeschoss, in das sich obendrein eine inverse Glaspyramide herabsenkt, Spitze an Spitze über einer kleinen Steinpyramide.

Spitz auf Spitz – zwei der insgesamt sechs Louvre-Pyramiden [tripadvisor]
Spitz auf Spitz – zwei der insgesamt sechs Louvre-Pyramiden [tripadvisor]

Bibliothèque nationale de France

Da ist auch die mittlerweile nach ihm benannte Nationalbibliothek. Jeder kann ihre vier hohen Eckgebäude sehen, aber die Arbeitsplätze liegen im Untergrund und öffnen sich auf einen abgesenkten Innenhof mit einem immergrünen Kiefernwald. Dass die Bücher in den vollverglasten Türmen nur mühsam vor Licht und Hitze geschützt werden können, soll hier nicht thematisiert werden. Kaum sichtbar ist ein weiteres Projekt.

Die Buren-Säulen

Vor dem Palais-Royal stehen die Säulen von Daniel Buren (1985/86). Genau genommen kann man sie zum größten Teil nur erahnen. Der Platz wurde in 260 Quadrate eingeteilt, aus denen ebenso viele Säulen empor- nein, nicht emporragen. Zwar sind alle weißen Marmorsäulen mit schwarz eingelegten Streifen gleich lang, doch von den meisten ragt nur ein Stumpf aus dem Boden, von einigen ist überhaupt nur die Stirnseite zu sehen, einige stehen in Reihe gestuft und markieren so eine zweite, schräge Ebene im Raum. Doch es gibt eine dritte, unsichtbare Ebene, denn die immer gleichlangen Säulen ragen tief in den Untergrund, wo ein kleiner Fluss fließt. Doch das lässt sich nur erahnen.

[bonjourparis.com]
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Monument des Droits de l’Homme

Ebenfalls nur erahnen lässt sich das Innere eines anderen Mitterand-Baus: das Monument für die Menschenrechte. Es wirkt wie ein ägyptischer Pylon mit zwei schlanken, mit Symbolen übersäten Obelisken auf der einen Seite und zwei Säulen gegenüber. Sie flankieren eine Tür, doch die mit geheimnisvollen Symbolen überreich geschmückte Bronzetür ist nicht zu öffnen. Es gibt einige wenige Gucklöcher, ähnlich wie beim Serdab des Djoser am Fuß seiner Pyramide in Sakkara. Sie lassen jedoch nicht ins Innere des Pylons blicken, sondern nur auf weitere Rätsel in Bronze. Auf immer unsichtbar bleibt das Relief, das hoch an der Innenwand die Erklärung der Menschenrechte zeigt, also genau genommen nicht zeigt. Nur zu bestimmten Zeiten im Jahr wird das Relief von der Sonne beleuchtet. Denn der verschlossene Bau ist oben offen, hat er doch eine kreisrunde Öffnung wie das Pantheon; es regnet nicht nur hinein, sondern auch das übrige Regenwasser wird durch Rinnen in den Bau hineingeleitet, der am Boden ein zentrales Auffangbecken besitzt. Es. Zu erinnern ist, dass die Revolutionäre am 26. 08. 1789 ihre „Déclaration des droits de l’Homme et du Citoyen“ veröffentlicht haben. Bereits damals waren es die Freimaurer, die sich um Menschenrechte mit universaler Gültigkeit bemüht haben [Grün]. Mitterand hatte vor seiner Präsidentschaft Kontakte mit dem Grand Orient de France, dem 1773 gegründeten Dachverband französischer Logen mit Sitz in Paris, und er liebte ihre Symbolik.

Das Monument [tripAdvisor]
Das Monument [tripAdvisor]
Symbolik [tripAdvisor]
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La Grande Arche de la Défense

Wenn es um Verhüllen und Verheimlichen geht, dann ist der Grande Arche de La Defense für uns von großem Interesse, wobei „la Defense“ den Stadtteil, nicht die Verteidigung meint. Ist dieses offene Tor eigentlich ein Hausbau? Es bildet einen in West-Ost-Richtung offenen Kubus von rund 110 m Kantenlänge – doppelt so hoch wie der Arc de Triomphe, mühelos ausreichend als Rahmen für Notre Dame de Paris, ist doch deren Fassade ‚nur‘ 43,5 m breit (das Querschiff 48 m) und mit den Türmen 69 m hoch. Selbst der abgebrannte Vierungsturm mit seinen 96 m wäre unterzubringen; nur der Chor würde um 17 m ‚überstehen‘. Johan Otto von Spreckelsen (†1987) konnte seinen Entwurf nur beginnen, weitergeführt und beendet wurde er durch Erik Reitzel. Die Seitenwände sind 22 m stark und beherbergen ministerielle wie privatwirtschaftlich Büroräume. Auch der ‚Querbalken‘ des Türgewändes besitzt ein reiches ‚Innenleben‘. Seine Oberfläche, weit größer als ein Fußballfeld, ist betretbar und bietet eine gewaltige Aussicht auf die Pariser Stadtlandschaft. Darunter ist Platz für eine Kaufpromenade, Ausstellungsräume, ein Restaurant und für die internationale Stiftung für Menschenrechte. Selten wird in Touristikführern ein rätselhaftes ‚Detail‘ genannt, ein allerdings übergroßes Detail: eine Kreisfläche von 4.500 m², mit rund 76 m Durchmesser. Dort oben ist ein runder Tierkreis angelegt, doch nur vier kleine, freie Ausschnitte können von oben herab betreten und gesehen werden. Der Künstler Jean-Pierre Raymond hat ihn so angelegt. Gab es ein Vorbild?

[Paris-infoservice.de]
[Paris-infoservice.de]
Begehbarer Sektor mit Treppe rechts, Tierkreiszeichen Waage und einem Knaben zum Größenvergleich. https://parisladefense.com/en/discover/artwork/la-carte-du-ciel
Begehbarer Sektor mit Treppe rechts, Tierkreiszeichen Waage und einem Knaben zum Größenvergleich. https://parisladefense.com/en/discover/artwork/la-carte-du-ciel

Das Liniensystem

Mitterand hat durchaus in pharaonischen Dimensionen gedacht und 4.000 km lange Linien gezogen. Zunächst (1) steht die Grande Arche auf der seit Jahrhunderten gegebenen Achse vom Louvre, heute durch die Spitze der Louvre-Pyramide markiert, von da über kleinen Triumphbogen, Champs Élysées und großen Triumphbogen hinweg.

Von der Grande Arche zieht eine zweite Linie (2) über das Monument der Menschenrechte und das Pariser Observatorium, das über dem Pariser Meridian steht.

[Fremdenverkehrsamt Paris]
[Fremdenverkehrsamt Paris]

Dieser Meridian ist bereits 1667 festgelegt worden. Doch erst 1792 wurde die Vermessung des Meridianabschnitts zwischen Dünkirchen und Barcelona in Angriff genommen und noch deutlich später von François Arago (1786–1853) bis Katalonien und Mallorca präzis vermessen. Es ging damals auch um die Bestimmung der Längeneinheit Meter als zehnmillionstel Teil des Erdumfangs, die 1791 festgelegt worden ist, also vor Abschluss aller Messungen. Dieses Ziel konnte schon deshalb nicht erreicht werden, weil sich herausstellte, dass die Erde keineswegs eine perfekte Kugel ist, sondern ein Geoid, spricht eine abgeplattete Kugel mit ‚Dellen‘ und ‚Beulen‘.

Triangulation über Land und Meer nach Mallorca [https://www.semanticscholar.org/paper/The-Paris-Meridian-Arc-Length-and-Definition-of-the-Solari%C4%87-Solari%C4%87/160319ec9ada5708830c8a2ad1bf31810f0f5e49]
Triangulation über Land und Meer nach Mallorca [https://www.semanticscholar.org/paper/The-Paris-Meridian-Arc-Length-and-Definition-of-the-Solari%C4%87-Solari%C4%87/160319ec9ada5708830c8a2ad1bf31810f0f5e49]

Der Pariser Meridian wurde 1884 durch den von Greenwich abgelöst, der ausgerechnet dort situiert ist, wo sich bis heute die Einführung des Meters und seiner Unterteilungen hinschleppt.

Heute ist er Pariser Meridian auf dem Boden der Stadt durch sogenannte Arago-Plaketten gekennzeichnet, von denen 135 Exemplare in Boden oder Wände eingesetzt worden sind. Der Künstler war Jan Dibbets. Es wäre zu schön gewesen, wenn die Spitze der Louvre-Pyramide genau auf diesem Meridian liegen würde, doch er touchiert die Pyramidenanlage knapp außerhalb eines der östlichen Wasserbecken. Dan Browns Postulat, die Spitze der inversen Pyramide liege genau auf dem Meridian, war besser erfunden als gut gemessen. Er hat übrigens auch die Mittagslinie in der Kirche Saint-Sulpice als Pariser Meridian missverstanden, was aber seine Fans nicht abhält, aus dieser Kirche eine besondere Kultstätte zu machen.

Die dritte Visur-Linie (3) zieht von der Grand Arche über Pantheon und Bibliothèque Nationale François Mitterand bis zum Nil, bis zum Tempel von Dendera, der aus spätptolemäischer und kaiserlich-römischer Zeit (bis 1. nachchristliche Jahrhundert) stammt. In den Räumlichkeiten auf seinem Dach war ein Tierkreis eingemeißelt, der Franzosen gut bekannt ist, weil das Original bereits unter Napoleon in den Louvre verbracht worden ist.

Sternenhimmel von Dendera. Außen die verzerrte Einteilung in jeweils 10°, innen der grün eingefärbte Tierkreis [mazzaroth]
Sternenhimmel von Dendera. Außen die verzerrte Einteilung in jeweils 10°, innen der grün eingefärbte Tierkreis [mazzaroth]

Auf dieses Relief bezieht sich der Tierkreis von der Grande Arche, gut dargestellt in dem Film von José Fosse [2018]. Übersehen worden ist bislang allerdings, dass die Linie zwischen Paris und Dendera auch durch Rom läuft. Dort ist 1976 und 1980/81 die Sonnenuhr des Augustus ausgegraben und 1982 vom Ausgräber Edmund Buchner in Buchform beschrieben worden. Da die Grande Arche von 1984 bis 1989 gebaut worden ist, stand das stadtrömische Wissen bereits zur Verfügung. In Rom steigt man bis in eine Tiefe von 8 m, um noch unter dem Keller eines Stadthauses ein Fragment von jenem Messgerät zu sehen, das Augustus 11 v. Chr. auf dem Marsfeld anlegen ließ.

Von Buchner freigelegtes Fragment auf dem römischen Marsfeld [https://www.cambridge.org/core/books/pliny-the-elder-and-the-emergence-of-renaissance-architecture/new-system/56BDED82A5DC9871158F42223FAB569D]
Von Buchner freigelegtes Fragment auf dem römischen Marsfeld [https://www.cambridge.org/core/books/pliny-the-elder-and-the-emergence-of-renaissance-architecture/new-system/56BDED82A5DC9871158F42223FAB569D]

Dass weiterhin ein Streit darum geht, ob es sich um eine große Sonnenuhr oder um eine Meridianlinie handelt, muss hier nicht kümmern [vgl. Illig 2020, 76]. Sicher ist: Es zeigte mit griechischen Bronzebuchstaben die Namen der Tierkreiszeichen. Auch auf der Grande Arche kann man zu vier Fragmenten hinuntersteigen, die Symbole der Tierkreiszeichen erkennen lassen.

Es handelt sich demnach um eine Hommage an das römische Messgerät und vor allem an seinen Baumeister: Kaiser Augustus! Mitterand hatte klare Vorstellungen, wer ihm zur Seite steht. Das ist die Verbindung zum Messgerät des Augustus, das den ersten entscheidenden Hinweis auf die Herbsttagundnachtgleiche am 23. September gegeben hat – bereits zu Zeiten des Augustus [ebd. 49-84].

Die Sonnenbarke

Der Bezug zu Kaisern und Pharaonen wird auch durch ein weiteres Monument erkennbar. Mitterand ließ im Park von Schloss Rambouillet eine bronzene Sonnenbarke aufstellen, deren Fährmann die präsidialen Züge trägt. Sie zeigt nach Südosten, genau in Richtung Tempel von Abu Simbel in Nubien. Und wer ließ ihn errichten? Kein geringer als Pharao Ramses II. Er ließ sich als Statue innerhalb der göttlichen Triade Ptah, Amun-re und Re-Harachte platzieren, also vergöttlichen. Er wird auch zweimal im Jahr (ca. 21.02. und 21.10.) von der tiefstehenden Sonne beleuchtet, während Erdgott Ptah immer im Schatten bleibt.

{Wer sich bei wiki: „Tempel von Abu Simbel“ klug machen will, wird enttäuscht, findet er doch folgenden Satz:

„Die Äquinoktien zwischen dem 19. und 21. März und am 22. oder 23. September markieren den astronomischen Frühlings- bzw. Herbstbeginn. Sie sind überall auf der Erde gleich und verschieben sich ebenso wenig wie die kalendarischen Tagundnachtgleichen, sodass das Sonnenwunder [von Abu Simbel] in keinem Zusammenhang damit steht.“

Bekanntlich verschieben sich die Äquinoktien sehr wohl im Kalender, wenn die Jahreslänge des Kalenders nicht korrekt ist.}

Unter den Augen der Weltöffentlichkeit hat François Mitterand ein freimaurerisch-mystagogisches Separat-Universum errichten lassen, als wenn ihn niemals irgendwelche politische Tagesfragen bedrängt hätten. Und die übrige Welt reagierte nicht darauf, obwohl sich der Präsident sehr eng an die Geheimnisse um Rennes-le-Chateau anlehnte [vgl. Lincoln/Baigent/Leigh], wo dann bald darauf Dan Brown auf den Spuren von Wilson (1932–2007) und den drei Autoren sein eigenes Paralleluniversum für die Weltöffentlichkeit errichtete. Es beruht auf Texten von Pierre Plantard (selbsternannter Adliger: de Saint-Clair), 1920–2000, der die Mystifikationen um Rennes-le-Château, um die Prieuré de Sion, Abbé Bérenger Saunière bis hin zum Mitterand-Freund Roger-Patrice Pelat im Jahr 1993 unter Eid als freie Erfindungen bezeichnet hat [wiki: Pierre Plantard; Fritz 2006]. Mitterand hat am 02.03 1981, acht Tage vor seiner Wahl zum Präsidenten Rennes-Le-Château und die dortige Kirche besichtigt. Als der Schwindel aufflog, waren die meisten seiner Bauten bereits fertig.

Mitterand betrachtet in der Kirche von Rennes-Le-Château Lucifer als Träger des Weihwasserbeckens [Foto: André Galaup].
Mitterand betrachtet in der Kirche von Rennes-Le-Château Lucifer als Träger des Weihwasserbeckens [Foto: André Galaup].

Literatur

Brown, Dan (2004): The Da Vinci Code; London (deutsch 2004: Sakrileg)

Buchner, Edmund (1982): Die Sonnenuhr des Augustus; Zabern, Mainz

Fosse, José (2018): Geheimnis Paris – Monumente, Macht, Magie; gesendet am 15.08.2020 in ZDF-Info

Fritz, Klaus (2006): Das Rätsel von Rennes-le-Château; Die Welt, 24.02.

Grün, Klaus-Jürgen (o.J.): Menschenrechte in der Freimaurerei; in: Yousefi, H. (Hg.): Menschenrechte im Weltkontext; Springer, Wiesbaden, S. 117 f. https://link.springer.com/chapter/10.1007%2F978-3-658-01070-6_15

Illig, Heribert (²2020): Gregors Kalenderreform 1582; Mantis, Gräfelfing

Lincoln, Henry / Baigent, Michael / Leigh, Richard (1984): Der heilige Gral und seine Erben. Ursprung und Gegenwart eines geheimen Ordens; sein Wissen und seine Macht; Lübbe, Bergisch Gladbach (engl. The Holy Blood and the Holy Grail; 1983)

Wilson, Robert A. (1981): Die Illuminati-Papiere; Sphinx, Basel (engl. 1980)

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