Eine Glosse von Heribert Illig
Im Arbeitszimmer des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten steht nicht nur eine Büste, sondern eine veritable goldfarbene Statue von Karl dem Großen. Das muss nicht überraschen, reichte doch Karls Reich über den Rhein bis nach Düsseldorf. Und die Hauptstadt darf stolz sein: Sie ist zwar erst im Jahr 1288 und damit 474 Jahre nach Karls Ableben zur Stadt erhoben worden und gilt noch heute ihrem Namen nach als Dorf. Aber sie besitzt trotzdem eine güldene Karlsstatue. Damit ist Düsseldorf gleichauf mit Frankfurt, das vor vier Jahren zu einer neuen Karlsstatue auf ihrer ältesten Mainbrücke kam, der allerdings heuer die Schwertklinge geklaut worden ist. In Berlin könnte das nicht passieren. 2003 wurde der große Karl aus dem graubündischen Müstair nachgegossen, um das Deutsche Historische Museum zu zieren. Dass diese Figur vier Jahrhunderte jünger ist als lange gedacht, stört niemanden. Und diese Figur trägt Reichsapfel und Zepter, ist also gegen Schwerträuber gefeit.
Auch Laschets Karl ist gegen Schwertraub immunisiert. Und sein Bruder Patrick hat recherchiert, dass er und Armin ungefähr in der 40. Generation von Karl abstammen. Das waren im Schnitt relativ langlebige männliche Ahnen, bekamen sie doch ihren jeweiligen Stammhalter erst mit fast 30 Jahren – das ist viel für damalige Zeiten. Irritieren könnte das „ungefähr“, denn bei einem Stammbaum gibt es kein ungefähr; da wird nur selten eine Generation ungestraft übersprungen.
‚Kronprätendent‘ Armin Laschet beruft sich also auf den größten aller Kaiser des späteren Deutschlands. Wer auf solchen Schultern sitzt, überragt natürlich alle. Andererseits relativiert das die eigene Größe beträchtlich. Doch das scheint den 1,70 m großen Armin nicht zu irritieren, nicht einmal in Relation zu Friedrich dem Gro.., nein: Friedrich Merz mit seinen 1,98 m.
Aber das mit dem Ur-Karl ist so eine Sache. Was tun, wenn der Ur-Ahn eine Erfindung ist, genauso wie die genealogische Abstammungslinie über weite Strecken? Denn an irgendeiner Stelle muss sich ein Hochadelsspross mit einem, pardon: Waschweib abgegeben haben, sonst wären die Laschets ja Fürsten oder Freiherren von Laschet. Aber solche kleinen Pannen gleicht Aachen aus: „Als gebürtiger Öcher (Aachener) möchte man natürlich von Karl dem Großen abstammen, und die Wahrscheinlichkeit ist gegeben“, so sieht es Patrick Laschet. Darauf beziehen sich Tobias Blasius und Moritz Küpper, die – wie der Zufall so spielt – gerade jetzt die Biographie über den „Machtmenschlichen“, also über Armin Laschet herausgebracht haben.
Bevor wir jetzt lange überlegen, ob auch der große Karl ein Machtmensch war, bei dem es obendrein menschelte, wollen wir uns an die vielen stichhaltigen Argumente erinnern, die gegen einen Karl in Fleisch und Blut vorgebracht und ängstlich unter den Teppich gekehrt worden sind. Da kann einer, der auf kaiserlichen Schultern sitzt, sehr schnell zu Boden stürzen.
Was also tun, wenn es bei den Wahlen im nächsten Jahr wegen einem erfundenen Kaiser eng werden sollte? Mein Tipp: Armin! Also Armin oder Hermann der Cherusker, 17 v. Chr. geboren, der den Römern in der Varus-Schlacht die Freude an der weiteren Eroberung Germaniens gründlich verdorben hat. Die Cherusker lebten zwar nicht linksrheinisch in der Aachener Ecke, sondern entlang der Weser, könnten aber selbstredend im Westen eingeheiratet haben. Schon die Bezeichnung „der Cherusker“ signalisiert, dass er nicht im Kerngebiet gelebt hat, sonst hätte sich das Beiwort erübrigt. Lassen wir ihn also aus Aachen stammen, aus Aquisgranum, wie die Franken ihre Stadt benannten. Den römischen Namen kennen wir leider nicht; aber es drängt sich Arminigranum geradezu auf.
So bekäme unser Öcher Armin weitere 26 Generationen in seinem Stammbaum hinzu. Wer sich daran störte, dass Karl gar nicht mit Armin verwandt gewesen sein soll: Ein fiktiver Karl kann mit jedem verwandt sein! Da genügt ein morganatischer Sprössling genauso wie ein Bankert, ein Kebsweib oder ein Friedelkind. Bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr können wir sicher der Armin-Biografie zweiten Teil lesen. Eigentlich schade, dass es dann der Markus wird…
Die Plastik entstammt keiner mittelalterlichen Hand, sondern der Kunststoffgusswerkstatt von Ottmar Hörl. Über 500 Karle hat er 2014 im Aachener Katschhof aufgestellt.
Armin der Cherusker soll bald folgen.
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