von Heribert Illig
Das Freilichtlabor Lauresham im UNESCO-Welterbe Areal Kloster Lorsch benennt ein spektakuläres Unternehmen: die Rekonstruktion der kompletten Ausrüstung eines karolingischen Panzerreiters. Unterstützt wird es von den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim. Da stellt sich die Frage, warum diese Wiederherstellung als besonders schwierig bezeichnet wird. Claus Kropp wird als Museumsleiter befragt:
„Zwei Schwerter, eine Flügelkopflanze, Helm, Schild, ein Messer sowie Schwertscheiden und -gürtel haben Kropp und sein Team schon nach alten Vorbildern und mit dem damals üblichen Handwerkszeug fertiggestellt. »Wir haben mit den einfachen Dingen angefangen«, sagt Kropp. Die Rüstung und die Ausstattung des Pferdes werden knifflige Aufgaben. Das sind als archäologische Funde nur einzelne Teile oder auch gar nichts mehr erhalten. Hier müssen sich die Forscher anhand von schriftlichen oder bildlichen Überlieferungen eine Vorstellung erarbeiten. »Bis jedes Detail geklärt ist, dauert es wohl noch fünf Jahre«, sagt der Mittelalterarchäologe.“ [Stark 2020]
Das überrascht, wurde doch 2014 in Erinnerung an Karls Todesjahr ein komplett ausgestatteter Panzerreiter im Aachener Rathaus aufgestellt. Aber er war wohl nur eine mangelhafte Rekonstruktion.
Ein Blick zurück. Lange Zeit sah man Panzerreiter bereits unter Karl Martell gegen die andrängenden Moslems im Einsatz. Obwohl die Heldenepen solches berichtet, wird es neuerdings bezweifelt. ‚Der Hammer‘ sollte bei Tours und Poitiers mit einer „geschlossenen Formation von gepanzerten Fußsoldaten“ gesiegt haben [Kramper 2020]. Aus aktueller Sicht formierte erst Karl der Große die Panzerreiter. „Sie preschten als Gruppe, möglichst als Keil voran. Die Wucht des Aufpralls der Schockkavallerie zerriss die gegnerische Formation“ [Kramper]. Das klingt sehr überzeugend. Allerdings musste diese Kavallerie im 10. Jh. noch einmal erfunden werden, um kriegsentscheidend zu werden.
Das eigentliche Problem der Rekonstruktion liegt in der Fundarmut. 1999 konnten in den großen Karolinger-Ausstellungen von Paderborn zwar Schwerter gezeigt werden, aber kein einziger Helm, keine Rüstung, kein sonstiger Ausrüstungsgegenstand. Das ist bemerkenswert, weil uns Römer oder Merowinger ungewollt sehr viel mehr hinterlassen haben. Nun wird Karls Zeit in zeitgenössisch eingestuften Quellen als äußerst eisenarm geschildert, ganze Landgüter sollen gerade mal sechs eiserne Gerätschaften besessen haben [vgl. Illig 1996, 180]. Aber Karls eisenstarrendes Heer, das sich auf Padua zubewegte, ist damals von Notker in leuchtenden Farben geschildert worden. Hat man in dieser Zeit alle Pflugscharen in Schwerter umgeschmiedet? Andererseits sollen Bergwerke und Schmiede in der Lage gewesen sein, fast 200 kg schwere, ungemein gut geschmiedete Teile von Eisenankern für die Aachener Pfalzkirche herzustellen. Also höchste Schmiedekunst und weit verbreitete Waffen bei spärlichsten Bodenfunden. Obendrein sind die sog. karolingischen Ulfberht-Schwerter fast durchwegs außerhalb des fränkischen Reichs, in Skandinavien gefunden worden [vgl. Illig 1996, 181].
Insofern müssen zahlreiche Details mühsam aus unzureichenden Abbildungen hergeleitet werden. Ein Detail hilft weiter. Auf karolingisch erachteten Abbildungen werden Reiter mit und ohne Steigbügel gezeigt. Gerade Panzerreiter benötigen den Stegreif, um sich bei ihrem Gewicht und bei Einsatz ihrer Waffen im Sattel zu halten. Merkwürdigerweise gibt es aus dem frühen 10. Jh. erneut abgebildete Reiter ohne Steigbügel [vgl. Illig 1996, 114-120]. Ist dieses Hilfsmittel – wie so manch anderes – gleich nach der Karlszeit wieder vergessen worden, obwohl es so simpel wie nur möglich ist? Die nicht-karolingische Forschung sieht es ohnehin anders: Erst
„um die Jahrtausendwende vollzog sich der Übergang zu Rüstungen, die aus dem Panzer- oder Kettenhemd und Eisenteilen zusammengesetzt waren“ [Cardini 1995, 129].
Mein frühes Resümee von 1996 lautete:
„Von Karls gepanzerter Schar sind weder die Steigbügel noch die hohen Sättel, noch die Lanzen, noch die Kettenpanzer gefunden worden. Archäologie verwandelt Karls wilde, verwegene Jagd in einen Wolkenspuk“ [Illig 1996, 120].
Texte von 1999 für Paderborns großartige Karolingerausstellungen konnten nicht nachbessern:
„Die Exaktheit in der Wiedergabe der Flügellanzenspitzen, der verzierten Schilde und der Details der Schwerter, belegt auch durch archäologische Funde, steht in krassem Gegensatz zur Ungenauigkeit in der Darstellung der Anzahl und der Rangzughörigkeit der Waffen in den Bildquellen, in denen die Krieger regelmäßig Helme und Panzer tragen, während sie in den archäologischen Überlieferungen fehlen“ [Stiegemann/Wemhoff, III:311]
„Die Bildquellen zeigen [karolingische] Panzerhemden, die aus Metallschuppen zusammengesetzt erscheinen und den ganzen Körper wie ein Hemd bedecken. Derartige Schutzpanzer sind ebenfalls nicht überliefert“ [ebd. III:316; vgl. Illig 1999, 423].
Nur ein erfundenes Mittelalter bietet die Lösung aller Widersprüche: Auch Karls Panzerreiter sind in die erfundene Zeit zurückimaginiert worden, genauso wie man es heute bei den sagenhaften Panzerreitern Karl Martells akzeptiert. Ein solcher virtueller Vorgang hinterlässt im Boden keine Spuren. Ob Klaus Wirth vom Reiss-Engelhorn-Museum in Mannheim so etwas zumindest ahnt? „Die Herstellung eines Panzerreiters ist etwas Besonderes. Ich kenne keine Projekte, die sich das zum Ziel gemacht haben. Das ist völlig irre.“ [Stark]
Literatur
Cardini, Franco (1995): Zeitenwende: Europa und die Welt vor tausend Jahren; WBG, Darmstadt
Illig, Heribert (1999): Paderborns prachtvolle Phantomzeit ∙ Ein Rundgang durch die Karolinger-Ausstellungen; Zeitensprünge, 11 (3) 403-438
– (1996): Das erfundene Mittelalter. Hat Karl der Große je gelebt; Econ, Düsseldorf, spätere Auflagen mit wechselndem Untertitel bei Ullstein, Berlin
Kramper, Gernot [2020]: So durchbrachen die Panzerreiter Karls des Großen die Phalanx der Fußsoldaten; www.stern.de, 29. 10.
Stark, Florian (2020): Die Panzerreiter schlugen Löcher in die Reihe der Muslime; www.welt.de, 23. 10.
Stiegemann, Christoph / Wemhoff, Matthias (Hgg. 1999): 799 – Kunst und Kultur der Karolingerzeit ∙ Karl der Große und Papst Leo III. in Paderborn ∙ Handbuch zur Geschichte der Karolingerzeit; Zabern, Mainz
Anhang
Fossa Carolina ohne Faktenballast
Der Karlsgraben soll zum touristischen Erlebnis aufgepeppt werden. Das bislang eher als Heimarbeit gestaltete Museum wird hin zu einem „Heritage Interpretation Center“ weiterentwickelt. Das bedeutet „eine freiere, weniger faktengetriebene Art der Wissensvermittlung“ [Stephan]. Stephan, Jan (2020): Karlsgraben als Erlebnis. Mit ansprechend gestalteten Modulen soll die touristische Präsentation der FOSSA CAROLINA aufgewertet werden; Nürnberger Nachrichten, 28. 11.
Karl der Berserker
„War es Karl der Große? Oder hatte doch ein namentlich nicht bekannter Riese den größten Anteil an der Entstehung von Niedersachsens zweitgrößtem See [dem Dümmer]? Glaubt man alten Sagen und Mythen, dann waren es entweder der Frankenkaiser oder ein Berserker, die die große Mulde schufen, in der sich der Dümmer heute ausbreitet.“ Werbetext zu einem neuen Bildband über den Dümmer, gestaltet von Andreas Kathe und Willi Rolfes
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