von Heribert Illig
„Das Geschenk war ganz nach dem Geschmack des Kalifen: eine kunstvoll illustrierte Handschrift mit dem Titel »De Materia Medica«. Das Buch »Über die Heilmittel« war die umfassendste Darstellung von Arzneimitteln, ihren Wirkungen und Anwendungen, die Mitte des 10. Jahrhunderts existierte. Verfasst hatte sie gut 800 Jahre zuvor Pedanius Dioskurides, ein griechischer Arzt im Dienst des römischen Heeres und der berühmteste Pharmakologe des Altertums.
Der byzantinische Kaiser Konstantin VIII. hatte das Werk in den äußersten Westen der arabischen Welt geschickt: nach Córdoba, ins Zentrum des Kalifats von al-Andalus, das sich zu dieser Zeit über den größten Teil der Iberischen Halbinsel erstreckte. Das Buch ging zu Händen von Kalif al-Hakam II. (915 bis 976), Herrscher über al-Andalus und Förderer von Kunst und Kultur. 400 000 Schriften soll seine Bibliothek umfasst haben. Damit stand Córdoba, im 10. Jahrhundert die größte Stadt Europas, den Bibliotheken in den islamischen Bildungshochburgen Bagdad oder Kairo in nichts nach.
Dass das wertvolle Geschenk auf Griechisch verfasst war, schreckte den Kalifen nicht. Er stellte eine Gelehrtenkommission zusammen, die den Text ins Arabische übersetzen sollte. Mit dabei: sein jüdischer Wesir Chasdai ibn Schaprut, studierter Mediziner, Diplomat und hoher Würdenträger der Staatsverwaltung“ [Lenzen].
Das lässt sich präzisieren: Der Kaiser suchte in Córdoba einen Verbündeten gegen den Abbasiden-Kalifen von Bagdad [Hunke, 179]. Der Umayyaden-Kalif von al-Andalus folgte dem kaiserlichen Ersuchen um Kontaktnahme und wurde belohnt. 948 traf in Córdoba als Geschenk der überaus wertvolle, in Griechisch verfasste und illuminierte Dioskurides ein. Das medizinisch herausragende Werk bringt ca. 1.000 Arzneimittel, davon vier Fünftel pflanzliche, und stellt nahezu 5.000 Anwendungen vor [wiki: Pedanios Dioskurides]. Weil niemand in Córdoba über ausreichende Griechischkenntnisse verfügte, wurde ein Übersetzer erbeten. Wohl 951 traf aus Konstantinopel ein Grieche ein, der Mönch Nikolaus. Er übersetzte mit Chasdai ibn Shaprut „und einer interkulturellen Expertengruppe“ den Text [Borgolte, 382]. Der Jude Chasdai (ca. 915 – ca. 970) wirkte als Diplomat am Kalifenhof. Mit dem wertvollen Geschenk verhält es sich jedoch komplizierter.
Denn der Dioskurides war zu jener Zeit längst ins Lateinische übersetzt. Es gab im 6. Jh. umlaufende Kopien (s.u.). Obendrein war der Dioskuridos auch ins Arabische übertragen und im islamischen Raum bekannt! Michael Borgolte [382, Fn 103] berichtet, dass Materia Medica durch Istifan ibn Basil übersetzt und durch Hunain ibn Ishaq korrigiert war: „The Arabic version was widely disseminated through the Islamic world“.
Istifan ibn Basil hat seine Übersetzung Mitte des 9. Jh. vollendet. Noch früher, bereits um 800 ist eine erste arabische Übersetzung entstanden; der Übersetzer blieb allerdings anonym [Ullmann]. (Die späteren, aus dem 12. Jh. stammenden Übersetzungen von Salim al-Malati und Mihran ibn Mansur, aus einem syrischen Fassung ins Arabische gebrachten Versionen, sind für die vorliegenden Überlegungen nicht relevant.)
Es stellen sich zwei Fragen: Warum griff man in Córdoba auf keine bereits vorliegende Übersetzung zurück, und warum konnten die Araber, die doch – wir stehen Mitte des 10. Jh. – längst viele griechische Texte in ihre Sprache transponiert hatten, damals kein Griechisch mehr? Die kurante Antwort lautet: Es gäbe im Dioskurides viele ausgefallene Pflanzennamen, die noch nicht richtig übersetzt waren. Doch das ist zu banal.
Oben wurde bereits erwähnt, dass Hunain (Hunayn) ibn Ishaq, latinisiert Johannitius, an Istifans Übersetzung beteiligt gewesen war. Dieser Johannitius lebte von 808 bis 873 als nestorianischer Christ. Anfänglich wirkte er im persischen Gundischar, später in Bagdad am dortigen „Haus der Weisheit“. „Seine Übersetzungen zeichnen sich durch ihre hohe Qualität aus“ [wiki: Hunain ibn Ishaq]. Und: „Hunain Ibn Ishaq hat ja die arabische Sprache überhaupt erst zu einer Wissenschaftssprache gemacht“ [Thomas]. Hunain hatte zuvor alle Schriften von Galenus, des berühmtesten griechischen Mediziners übersetzt, der sich auf Dioskurides gestützt hatte. Damit kannte Hunain das Vokabular des Dioskurides.
Hunain soll wie sein Lehrer Gabriel Bochtiso an der Akademie von Gundischapur gelehrt haben [Thomas]. Damit wird an die berühmte Schule der westpersische Stadt angeknüpft, in der Chosrau I. (531–5579) ein Wissenszentrum intensivierte, in dem aus Byzanz eintreffende, asylsuchende Christen und Griechen ihre Texte ins Persische übersetzten. Doch das universitäre Wirken ist bereits zu Anfang des 7. Jh. schwer greifbar, nach Gründung des „Hauses der Weisheit“ in Bagdad, 832, kaum noch erkennbar, soll sich aber bis ins 10. Jh. weitergeschleppt und so die Übersetzungsbrücke für Griechisch -> Persisch -> Arabisch -> Lateinisch gebildet haben [Illig 1992].
Und auf Hunains Übersetzung hätte man im Córdoba des 10. Jh. verzichtet, um nicht zu sagen: Man hätte Hunain so gründlich vergessen, dass man sich vor dem Kaiser die mehr als peinliche Blöße gab, einen Übersetzer zu erbitten?
Hier gibt es nur einen Schluss: Weder die anonyme Übersetzung von 800 noch die Übersetzung von Istifan und Hunain von 850 lagen um 948 in al-Andalus vor, weil sie noch nicht geschrieben worden, nur zu früh datiert waren. Erst jetzt wurden griechische Übersetzer aktiv, um nicht nur den Dioskurides, sondern das antike Wissen ins Arabische zu überführen.
Unabhängig davon verbreitete sich byzantinisches Wissen in den Westen. Tatsächlich gab es seit dem 6. Jh. lateinische Übersetzungen, die über Cassiodor bestätigt und als ein Dioscorides longobardus um 540 berichtet werden. Die älteste erhaltene Lateinfassung wird dem 9. Jh. zugeschrieben [wiki: Pedanios Dioskurides]. Doch lateinische Versionen wurden offenbar von der islamischen Seite aus nicht gesucht, was verständlich ist, nachdem um 550 noch fast das gesamte Mittelmeer in byzantinischer Hand war und auch nach der ersten großen islamischen Eroberungswelle Südostspanien, Süditalien mit Sizilien und Griechenland weiterhin byzantinisch waren.
Liegt hier das gleiche Problem vor, das Chronologiekritiker vor Zeiten schon einmal beschäftigt hat, damals bei der Weitergabe der Null? [Illig 1992] Sigrid Hunke war aufgefallen, dass die in Indien entdeckte oder erfundene Null um 776 im arabischen Raum auftaucht, in dem Buch „Sindhind“ („Ewige Dauer“), das eigentlich „Brahmasphuta-siddhants“ hieß und von Brahmagupta stammte [Hunke, 57]. Da Hunkes Buch bereits 1960 erschienen ist, muss der heutige Forschungsstand berücksichtigt werden. Doch es bleibt dabei: „Zij al-Sindhind“ wurde „in den frühen 770er Jahren“ an den Hof von Kalif al-Mansur zu Bagdad gebracht [en.wiki: Zij al-Sindhind]. Um 825 verfasste dann al-Chwarizmi, latinisiert Algorismi (!), seine „Algebra“. Doch auch dieses in Bagdad entstandene Werk erreichte das islamische Spanien lange nicht.
Als Gerbert von Aurillac, der spätere Papst Silvester II. nach 967 die Möglichkeit hatte, dank Graf Borrell II. in Barcelona, vielleicht auch in Córdoba Mathematik zu studieren [en.wiki: Pope Silvester II], brachte man ihm die Null noch nicht bei, also rund 200 Jahre nach ihrer arabischen Übernahme.
„Tatsächlich war zu seiner [Gerberts] Zeit im arabischen Westen die Null noch unbekannt. […] Erst als sie [die Andalusier] von den Ostarabern das Stellenwertrechnen lernten, fügten sie die Null ihrer altgewohnten Ziffernschrift hinzu“ [Hunke, 54].
„Das Geheimnis der fehlenden Null ist nicht restlos geklärt“ [Hunke, 55], blieb doch die Zeitverzögerung der westlichen gegenüber den östlichen Arabern unverständlich. Das Rätsel ließ sich nur mit der These vom erfundenen Mittelalter lösen. Das gilt umso mehr für fehlende Griechischkenntnisse in al-Andalus. Könnte – nur theoretisch – das Wissen um die Null eine Zeitlang zurückgehalten worden sein, so ist das mit Griechisch-Kenntnissen gar nicht mehr möglich. Denn im Handelsraum Mittelmeer wurden im 10. Jh. alle Sprachen benutzt, ob Latein, Griechisch, Syrisch, Aramäisch oder Arabisch.
Das zweite Geheimnis ist die Zeitverzögerung des westlichen Christentums. Denn al-Chwarizmis „Algebra“ verzögert sich gegenüber dem Westen noch einmal, wird der Text doch erst 1145 durch Robert von Chester und kaum später durch Gerhard von Cremona ins Lateinische übersetzt. Das ist ein zeitlicher Abstand von 320 Jahren! Doch auch diese Lücke wird durchs erfundene Mittelalter weitgehend geschlossen.
Islamische Bibliotheken
Wir sind es gewöhnt, die islamische Kultur gerade in ihren kriegerischen Anfängen trotz aller Emire und Kalifen, trotz aller Feldzüge bis über die Pyrenäen und an den Indus zugleich als eine tolerante ‚Gelehrtenrepublik‘ zu sehen, die gerade im Vergleich zu den fast analphabetischen Franken schier unendliche Wissensgüter in ihren Bibliotheken sammelte. Dazu einen kurzen Überblick, der sich auf Björn Buschles Arbeit [B. = 2014] stützt: In ihr werden die ‚akademischen‘ Bibliotheken des arabisch-islamischen Kulturbereichs betrachtet, nicht die von Moscheen und religiösen Bauwerken wie etwa Medresen. Die Übersicht endet hier gegen 1100.
Emire und Kalifen in al-Andalus:
822–852: Emir Abd ar-Rahman II. soll im entstehenden Córdoba eine Palastbibliothek aufgebaut haben [B. 20].
912–961: Abd ar-Rahman III., erster Kalif in al-Andalus, hat großes Bücherinteresse. Ihm sendet Kaiser Konstantin VII. den Dioskurides [B. 20].
961–976: Nachfolger al-Hakam II. hat bereits als Kronprinz Bücher gesammelt. Insgesamt wird von 400- und sogar von 500.000 Bänden gesprochen,die in einem riesigen Katalog erschlossen vorlagen [B. 21, 45 f.; wiki: Kalifat von Córdoba]. Von dieser Unmenge ist heute nur noch ein einziges Buch erhalten [B. 22]. Die ‚Bildungsoffensive‘ der Umayyaden richtet sich gegen das Abbasiden-Kalifat in Bagdad.
978–1002: Emporkömmling al-Mansor lässt alle philosophischen und häretischen Bücher verbrennen, die Restbestände werden später verschleppt [B. 22 f.].
Aus Toledo, Valencia und Saragossa sind weitere Bibliotheken bekannt. Wesir Abu Ga’far ben Abbas soll in Almería eine Bibliothek mit 400.000 Bänden besessen haben [B. 28]. Qadi Ibn Futais benennt zu Zeiten al-Hakams II. die zweitgrößte Bibliothek von Córdoba sein Eigen, für die er einen Bibliothekar und sechs Kopisten beschäftigt; weitere Privatbibliotheken werden berichtet [B. 23].
1499: Nach Ende der islamischen Herrschaft in Andalusien lässt ein Kardinal alle arabischen Bücher auf dem Marktplatz von Granada verbrennen, geschätzte ein bis zwei Millionen [B. 28].
Kalifat in Bagdad:
754–775: Kalif al-Mansur, der Gründer von Bagdad, veranlasst Übersetzungen auch durch nestorianische Christen, die aus dem Syrischen ins Arabische übersetzen [B. 14 f.].
832: Kalif al-Ma’mun gründet in Bagdad ein „Haus der Weisheit“ nach Vorbild von Gundischapur. Dort beschäftigt er bis zu 90 Übersetzer, darunter Christen, Sabäer und Juden. [B .48]
1025–1041: Wesir Bahram b. al-Mafanna stiftet eine weitere Bibliothek im in indischen Firzabad, die – sehr vage – 7.000 oder 194.000 Bände umfasst [B. 33].
1055: Seldschuken erobern Bagdad, wobei das „Haus des Wissens“ mit mehr als 10.000 Bänden verbrennt [Eke/Elit, 322; B. 32].
Kalifat in Kairo:
1005: Fatimiden-Kalif Hakim gründet das „Haus des Wissens“. Es hat im Jahr 1045 ‚nur‘ 6.500 Bücher [Eke/Elit, 322], sichert seine Existenz mit einer Stiftung [B. 25]; doch bereits 1068 entwenden Söldner 18.000 Bücher über antike Wissenschaften; ab da gehen die Plünderungen weiter.
1132: Ein neues „Haus des Wissens“ wird eröffnet und bereits 1171 wieder geschlossen, weil Kalif Saladin (1137–1193) die Palastbibliothek mit sagenhaften 1.6 Mio. Bänden versteigern lässt [Eke/Elit, 322].
Ansonsten:
Die Buyiden haben in Basra (heute: Irak) ihre Bibliothek mit 15.000 Bänden [B. 32].
In Isfahan lebt Avicenna (Ibn Sina, gest. 1037), dessen persönliche Bibliothek noch zu seinen Lebzeiten verschleppt wird [B. 35]. Er hat die große Bibliothek in Buchara besucht. [B .34 f.] – Buchara, laut Rumi ein „Bergwerk des Wissens“ [wikivoyage: Buchara].
Merw im heutigen Turkmenistan besitzt Bestände aus Ktesiphon (heute Irak). [B .13]
Schlussfolgerungen
Der Blick auf die Bibliotheken von al-Andalus zeigt rasch, dass eine Bibliothek aus der ersten Hälfte des 9. Jh. ohne Kenntnisse des Griechischen nicht denkbar ist. Die wesentlichen Werke, wie die von Euklid oder Aristoteles, lagen in Griechisch oder Syrisch vor und hätten ohne Griechisch-Kenntnisse keine Wirkung entfalten können. Der Austausch zwischen Umayyaden-Kalif und byzantinischem Kaiser unterstreicht, dass die andalusische Kultur um die Mitte des 10. Jh. von Byzanz buchstäblich importiert worden ist, wie die Bitten um griechische Musivisten und Baumeister für Córdobas große Moschee erkennen lassen. Doch hat sich von den ersten beiden Jahrhunderten in Córdoba praktisch nichts erhalten, allenfalls einige Bögen der großen Moschee, die man wegen ihrer für 785 tradierten Gründung dem 8. bzw. 9. Jh. zuschreibt [Illig 1992, 103-105]. Nicht vergessen werden sollen die Baños califales, also die arabischen Bäder aus dem 10. Jh. – doch nur eine einzige Badeanstalt lässt sich aufspüren. Heutige Beschreibungen überschlagen sich förmlich:
„Die Bibliothek Cordobas zählte zu jener Zeit 400 000 Handschriften, während die größte nordeuropäische in St. Gallen 600 besaß. Es gab in der Stadt 600 Badehäuser, bis zu 1000 Moscheen und die erste Straßenbeleuchtung Europas“ [iberia].
„Die Mauren eroberten Cordoba im 8. Jahrhundert und bis zum 10. Jahrhundert erreichte die Stadt eine Einwohnerzahl von 500.000, was verglichen zu 38.000 in Paris sehr beachtlich war. Alten Überlieferungen zufolge hatte die Stadt damals 700 Moscheen, etwa 60.000 Paläste und 70 Bibliotheken, von denen eine 500.000 Manuskripte beinhaltete und zahlreiche Angestellte hatte, darunter Forscher, Beleuchter und Buchbinder. Cordoba hatte etwa 900 öffentliche Bäder und Europas erste Straßenbeleuchtung. Die Machthaber Cordobas regierten mit Weisheit und Gerechtigkeit und behandelten Christen und Juden mit Toleranz. Sie verbesserten den Handel, die Landwirtschaft, unterstützten die Künste und Wissenschaften. Unter Ihnen wurde Cordoba eine der fortschrittlichsten Städte Europas“.
Ausgegraben werden konnte nur die Stadtgründung von Kalif Ab dar-Rahman III. (936) vor den Toren Córdobas: Medina Azahara, das sich nach 35 Jahren über mehr als 110 Hektar erstreckte, doch bereits 1009 von den Berbern eingenommen und geplündert wurde, worauf es verfiel.
Mit anderen Worten: Die islamische Frühzeit von 711 bis 914 ist archäologisch nicht belegbar. Das gilt auch für das Córdoba des 10. Jh. und seine morgenländischen Ausschmückungen: die sagenhaft reichen Bibliotheken, von denen kaum ein Buch überdauert hat und die vor dem 10. Jh. mangels Übersetzer und mangels einheimischer Autoren kaum entstehen konnten. Das gilt leider auch für die Wohnstätten: Im 10. Jh. sollen es 110.000 Einwohner gewesen sein, um das Jahr 1000 bereits 330.000, später rund 1 Million – die vermeintlich glanzvollste Stadt Europas. In welchen Häusern haben sie gelebt? Weiter fehlen ihre 500 oder auch 1.000 Moscheen, 50 Spitäler und ihre 600 oder auch 900 Bäder, die unverdrossen berichtet werden.
Appendix
Herrschende Lehre setzt Tariq ibn Ziyad in die Zeit um 670 bis 720. Bereits 711/12 hätte der islamisierte Berber mit seinen Truppen Südspanien erobert, 719 fast ganz Spanien. Von Tariq und dem Felsen Gebel al-Tariq leitet sich die Benennung „Gibraltar“ her. Doch wie steht es um die Historizität des großen Eroberers?
„Ob es sich bei Tariq tatsächlich um eine historische Figur handelt, ist in jüngerer Zeit in Frage gestellt worden. Der Arabist Emilio González Ferrín von der Universität Sevilla vertritt in seiner in Spanien vielbeachteten Historia General de Al Ándalus [Córdoba, 2006] die These, dass es im 8. Jahrhundert keine arabisch-muslimische Eroberung gegeben habe, sondern vielmehr eine bürgerkriegsartige Situation zwischen verschiedensten Volksgruppen. Die Landnahme durch Tariqs Berber sei demnach ein Gründungsmythos, der erst zur Zeit der Almoraviden im 11. Jahrhundert in die Welt gesetzt worden sei, um die Machtübernahme durch eine lange bestehende muslimische Präsenz auf der Iberischen Halbinsel zu legitimieren“ [wiki: Tariq ibn Ziyad].
Der Mythos und sein spätes Aufkommen im 11. Jh. fügen sich nahtlos ins erfundene Mittelalter ein.
Literatur
Auer, Ludwig M. (2020): Europa ˑ Wunsch, Wahn und Wirklichkeit ˑ Eine Trilogie ˑ Band 1: Zur Geschichte von Migration und Kultur; LIT, Wien
Borgolte, Michael (2014): „Experten der Fremde ˑ Gesandte in interkulturellen Beziehungen des frühen und hohen Mittelalters“ (S. 361-400); in: Mittelalter in der größeren Welt ˑ Essays zur Geschichtsschreibung und Beiträge zur Forschung [Hgg. Lohse, Tillmann / Scheller, Benjamin]; De Gruyter / Akademie, Bad Langensalza
B. = Buschle, Björn (2014): Rolle und Bedeutung von Akademien und Bibliotheken im arabisch-islamischen Kulturbereich für die Überlieferung antiken Wissens bis zum Ende des 15. Jahrhunderts ; Bachelor an der Hochschule der Medien Stuttgart https://hdms.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/1719/file/bachelorarbeit_korr.pdf
Eke, Norbert O. / Elit, Stefan (Hgg. 2019): Grundthemen der Literaturwissenschaft: Literarische Institutionen; De Gruyter, Berlin
Gutas, Dimitri (2005): Greek thought, Arabic culture. The Graeco-Arabic translation movement in Baghdad and early ʿAbbasid society (2nd-4th/8th10th centuries). London, Routledge
Hunke, Sigrid (1991): Allahs Sonne über dem Abendland ˑ Unser arabisches Erbe; Fischer, Frankfurt (11960)
iberia = https://www.capper-online.de/Travel/Iberia/html/cordoba.htm
Illig, Heribert (72009): Wer hat an der Uhr gedreht? Ullstein, Berlin
– (1992): Alles Null und richtig ˑ Zum Verhältnis von arabischer und europäischer Kultur; Vorzeit-Frühzeit-Gegenwart, 2 (4) 119-131
Lenzen, Manuela (2015): Die Denker von al-Andalus; https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/die-denker-von-al-andalus/
rundel = [https://www.rundel.de/de/artikel/la_mezquita_de_cordoba/MP99029]
Thomas, Johannes (2012): Was heißt „muslimisches Spanien“? (II) Beispiele für die Notwendigkeit einer Entmythologisierung und die Möglichkeiten einer Neudeutung; http://www.imprimatur-trier.de/2012/imp120805.html
Ullmann, Manfred (2009): Untersuchungen zur arabischen Überlieferung der Materia Media des Dioskurides. Mit Beiträgen von Rainer Degen; Harrassowitz, Wiesbaden
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