Die ach so schwierig zu datierende Santorin-Eruption

Mehr als eine Glosse von Heribert Illig

Seit rund 20 Jahren behindert der Ausbruch der Vulkan-Insel Santorin die Synchronisierung im östlichen Mittelmeerraum (ihr Name wird auch mit Santorini, Thera, Thira oder Kalliste wiedergegeben, der Kraterrest umfasst auch die Insel Thirassia und Aspronisi; später hinzugekommen sind Palea Kameni und Nea Kameni).

[Quelle: Wikipedia]
[Quelle: Wikipedia]


Obwohl die Zeitachsen von Altägypten, minoisch-mykenischer Kultur und der Levante bis hin zum Zweistromland jeweils gut verankert scheinen, waren sie auch durch das größte Chronologie-Projekt aller Zeiten nicht ‚auf die Reihe‘ zu bringen:

SCIEM = “The Synchronization of Civilizations in the eastern Mediterranean in the 2nd Millennium BC” (Synchronisation der Zivilisationen im östlichen Mittelmeerraum im 2. Jahrtausend v. Chr.).

Das Projekt ist wohl 1998 von dem Ägyptologen Manfred Bietak und dem Assyriologen und Archäoastronomen Hermann Hunger gestartet worden. Leider verrät die Website des Projekts [SCIEM2000] kaum etwas über Beginn, Durchführung und Abschluss des riesigen Projekts. Es gibt auch keine einschlägige Wikipedia-Seite, obwohl es sich um ein fakultätsübergreifendes Projekt mit deutlich mehr als 100 Wissenschaftlern gehandelt haben muss. Auch sein vorläufiges Scheitern ist der Website nicht zu entnehmen.

Um was ging es tatsächlich? Ein Olivenstrunk von Santorin stellte sich dem Vorhaben in den Weg. Schon in den Jahren davor gab es Symposien unter dem lockeren Titel „High, Middle or Low“ (1987, 1990 und 1996 [Hornung u.a., 8]), auf denen vergeblich versucht worden ist, für den östlichen Mittelmeerraum eine gemeinsame Chronologie zu finden. 1990 konnte der Autor an jener auf Schloss Haindorf in Langenlois teilnehmen. Damals kam es nicht zu einer einzigen, zusammengeführten Chronologie, sondern zu zwei weiteren, noch niedrigeren. Deshalb wurde später SCIEM2000 ins Leben gerufen. Doch das Olivenholz blieb als Pfahl im Fleische der Chronologie schmerzhaft erhalten. Denn mittlerweile hatten sich auch die Naturwissenschaftler in Gestalt von Dendrochronologen, Radiokarbondatierern und grönländischen Eisbohrkernspezialisten eingemengt. Sie hatten damals ein Datum für den Ausbruch des Santorin-Vulkans ermittelt, das ein gutes Jahrhundert älter lag als das von den Historikern präferierte. Nicht 16., sondern 17. Jh. v. Chr., für die Holzspezialisten bei -1613 ± 13, für die Icecoreproofer bei -1650 [Muscheler; Illig 2013, 551].

Bietak hat die Unvereinbarkeit von Messungen und Pharaonenreihe auf den Punkt gebracht: „Wir müßten 100 bis 130 Jahre ägyptische Geschichte neu füllen, wenn das stimmt. Das ist unmöglich.“ [Nowak]

Dem konnte man nur zustimmen. Denn Bietak hat im nordöstlichen Nildelta, in Tell el-Daba gegraben. Dort liegt in einer Schicht der 18. Dynastie zypriotische White-Slip-I-Ware, die von Akrotiri auf Santorin bekannt ist. Da bislang die 18. Dynastie bei -1552 einsetzt, kann der Vulkan die Insel nicht bereits 100 Jahre früher unbewohnbar gemacht haben. Weiter hat der Ausgräber dort ein minoisches Fresko gefunden, das den Stierkult darstellt und eine Verbindung schafft zwischen minoischem Kreta, dem Beginn der 18. Dynastie und den Hyksos, die noch bis -1530 parallel zu Ahmose I. im Delta dominant gewesen waren. Dies war mit den im Labor gewonnenen Datierungen völlig unvereinbar.

Viele Jahre später und nach vielen weiterenMessungen klären die Naturwissenschaftler das Oxymoron auf, also das ‚hölzerne Eisen‘ in Gestalt des Olivenholzes. Die Datierung 1627-1600 v. Chr. war im Jahr 2006 entstanden, wie solche Daten im Labor entstehen: Es wurden nicht nur Pflanzenreste aus der Vulkanasche herangezogen, sondern auch ein Olivenast, obwohl Olivenbäume Jahresringe nicht zuverlässig ausbilden [Friedrich]. Damit sind die Messungen kalibriert, also geeicht worden.

„Vergleichen Wissenschaftler Ringe aus unterschiedlichen Zeiten und Klimazonen mit dem C14-Gehalt im Holz, ergeben sich daraus Kalibrierungskurven. Doch wie genau ist die international anerkannte Kalibrierungskurve, die seit Jahrzehnten genutzt wird? […]

Um dies zu überprüfen, erstellten die Forscher für die Zeit zwischen 1700 und 1500 vor Christus eine eigene Kurve dieser Art. Dafür analysierten sie die Kohlenstoffgehalte im Holz alter kalifornischer Kiefern und irischer Eichen. Dank der modernen Massenspektroskopie war es ihnen möglich, ultradünne Baumscheiben und damit einzelne Jahresringe isoliert zu untersuchen – insgesamt 285 Proben. Als die bis heute genutzte Kalibrierungskurve entstand, konnten dagegen nur dickere Stücke Holz mit zehn bis 20 Ringen analysiert werden.

Genau dies schien einen Unterschied zu machen: Pearson und ihre Kollegen stellten fest, dass ihre Kurve geringfügig von der alten abwich. Was würde passieren, wenn die Ergebnisse aus den Radiokarbonmessungen mithilfe dieser neuen Werte geeicht würden? Es zeigte sich: Die Datierung ergab nun eine Zeit zwischen 1600 und 1525 vor Christus“ [scinexx].

So einfach ist das Laborleben. Erst behauptet man rund 30 Jahre lang, dass die ermittelten C14-Daten richtig sein müssen, dann modifiziert man die Standardkurve ein wenig und – siehe da: Endlich passt alles [Pearson]. Wie man en passant die Eisbohrkerndatierungen mit anpasste, wird nicht eigens erwähnt, dürfte aber in gleicher Weise erfolgt sein. Die Naturwissenschaftler gehen aber deshalb nicht in Sack und Asche, sondern schließen forsch daraus, dass viele C14-Datierungen modifizierbar sein könnten:

„Gleichzeitig offenbaren die Ergebnisse, dass alte Kalibrierungskurven mithilfe genauerer Messungen optimiert werden können – zumindest in Bezug auf die nun untersuchte Zeitspanne. »Unsere Studie beschäftigt sich mit dem Schicksal von Thera. Tatsächlich ist sie aber für jeden von Bedeutung, der die Radiokarbondatierung nutzt«, schließt Pearsons Kollege Gregory Hodgins. (Science Advances, 2018; doi: 10.1126/sciadv.aar8241)“ [scinexx].

Das sind beileibe nicht die ersten Nachbesserungen von C14-Daten, die uns mitgeteilt werden. Gleichwohl sind die Physiker der Meinung, dass ihre jeweils aktuell für gültig erklärten Messungen der Wahrheit am nächsten kommen. In diesem einen Fall mussten die Historiker, also die Ägyptologen nicht nachgeben. In vielen anderen Fällen, in denen es nicht so gute Bezugsfunde gibt, tun sie es. Dann ordnen sich Prähistoriker oder selbst Mediävisten den Blackbox-Ergebnissen, also den Messwerten unter und vergessen dabei die Kompetenz ihres eigenen Fachs.

Es muss eigentlich nicht hinzugefügt werden, dass wir von einem deutlich späteren Santorin-Ausbruch ausgehen. Die griechische Frühzeit der Minoer und Mykener hat uns keine Geschichtshinweise hinterlassen, weshalb sie über ägyptische und levantinische Funde datiert werden muss. Gunnar Heinsohn und der Verfasser haben eine weitgehende Chronologiekorrektur für Ägypten vorgeschlagen [1990], auf Basis der Bodenfunde und vor allem der Handwerkstraditionen. Damit entfallen im Quervergleich mit Ägypten rund 500 Jahre, um die jene Frühzeit an die Zeitenwende heranrücken [Illig 2015, 71]. Damit ist das Ende der minoisch-mykenischen Zeit im -8./7. Jh., das Zerbersten der Insel Santorin/Thera im -9./8. Jh. anzusetzen.

Literatur

Friedrich, Walter L. u. a. (2006): Santorini eruption radiocarbon dated to 1627–1600 BC; Science 312 (5773), p. 548

Heinsohn, Gunnar / Illig, Heribert (1990): Wann lebten die Pharaonen? Archäologische und technische Grundlagen für eine Neuschreibung der Geschichte Ägyptens und der übrigen Welt; Eichborn, Frankfurt am M. (62010, Mantis, Gräfelfing

Hornung, Erik / Krauss, Rolf / Warburton, David A. (Ed. 2006): Ancient Egyptian Chronology; Brill, Leiden · Boston

Illig, Heribert (2015): Griechenlands Dunkle Jahrhunderte. Eine Zeitbestimmung; Zeitensprünge 27 (1) 45-74

– (2013): Satan oder Lucifer – Eine grundsätzliche Velikovsky-Kritik; Zeitensprünge 25 (3) 539-561

– (2001): Ägypten – neue chronologische Zweifel · Ein Zwischenbericht; Zeitensprünge 13 (1) 4-13

Muscheler, Raimund (2009): 14C and 10Be around 1650 cal BC; Heinemeier, Jan / Friedrich, Walter: Time’s Up! – Dating the Minoan Eruption of Santorini, Acts of the Minoan Eruption Chronology Workshop, Sandbjerg November 2007. Monographs of the Danish Institute at Athens, Bd. 10, Aarhus University Press, 275–284

Nowak, Rainer (1999): Aus Asche und Eis: Jahresringe für den Mittelmeerraum; Die Presse, Wien, 19. 06.

Pearson, Charlotte L. et al. (2018): Annual radiocarbon record indicates 16th century BCE date for the Thera eruption; Science Advances 4 (8 = August): eaar8241

SCIEM2000 = https://www.oeaw.ac.at/sciem2000/index.html

scinexx (2018): Rätsel um Santorini-Katastrophe gelöst · Vulkan brach doch im 16. Jahrhundert vor Christus aus; 16. 08. 2018 [scinexx das wissensmagazin] https://www.scinexx.de/news/geowissen/raetsel-um-santorini-katastrophe-geloest/

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