von Heribert Illig
Eva Herman gehört zu den Autorinnen, von denen ich kein neues Buch erwarte, das hier zu besprechen wäre. Sie war laut Wikipedia einst die „beliebteste Moderatorin Deutschlands“ und vertritt heute als Publizistin „rechtspopulistische und verschwörungstheoretische Thesen“. Heuer veröffentlichte sie einen aufregend klingenden Titel: Blutgericht Europa. Karl der Große als Ursache für den Untergang Deutschlands und Europas. Ich bespreche aber nicht das Buch, sondern ein 71 Minuten langes Interview, das Oliver Janich mit ihr geführt hat und auf Youtube zu hören ist:
https://www.youtube.com/watch?v=1eSKJmM9neQ&feature=share
Die Thematik ist klar. Karl der Große hat einst den halben Kontinent mit Feuer und Schwert zwangsgeeint und das auch noch mit und für die Kirche. Da Herman an Reinkarnation und Karma glaubt, ist sie überzeugt, Karl habe besondere Schuld auf sich geladen mit der ‚Schwertmission‘ bei den Sachsen und dem Blutgericht bei Verden an der Aller. Karmisch gesehen komme diese Schuld jetzt wieder hoch und stelle insbesondere Deutschland, aber auch ganz Europa vor scheinbar unlösbare Herausforderungen. Da ich weder Anhänger der Reinkarnationslehre noch des Christentums bin, interpretiere ich die aktuelle politisch-gesellschaftliche Situation durchaus anders, doch das ist hier nicht relevant. Bei Minute 18 des Videos kommt Herman, nachdem sie auf die Karls-Biografien von Johannes Fried und Stefan Weinfurter zurückgegriffen hat, auch auf den ‚Karlsnegierer‘ zu sprechen (keine 100%ige Abschrift, da das Video nicht einwandfrei zu hören war):
„Da gibt es ja auch Leute, die sagen, es gab ihn gar nicht. Das ist aus meiner persönlichen Sicht absoluter Humbug. Also Karl den Großen, den hat’s so was von gegeben. Da weiß man auch nicht, ob das nicht schon wieder ein Hinweis aus dem System ist. Also gut, das führt schon wieder auf eine Verschwörungstheorie.“
Wenn ich das richtig verstehe, dann sieht Herman eine Art Doppelstrategie. Die Mediävisten tun mit ihren Biografien Karl die größte Ehre an. Das erregt Herman, erkennt sie doch im Sachsenschlächter die Ursache für Europas Kalamitäten. Und dann komme ich und entführe Karl ins Reich der Fiktionen. Dadurch sieht sich Herman um ihr Buch und ihre Interpretationen gebracht: Dieses ganze miese System aus Politik, Wirtschaft, Religion, Wissenschaft und Medien (ihr persönliches Stichwort: ARD), das für alles Unheil verantwortlich ist, hat sich einen systemimmanenten Scheingegner kreiert, der sicherheitshalber die Schuldursache Karl aus dem Weg räumt. Das „System“ kämpft also sowohl für Karl wie gegen Karl und entzieht sich so seiner karmischer Verantwortung.
Da musste ich ganz in mich gehen und Gewissenserforschung treiben. Aber das Ergebnis war schon vorher bekannt: „Das System“ hat mich weder gekauft noch gezwungen noch sonst in irgendeiner Weise influenziert. Ich kritisiere gewisse wissenschaftliche Sichtweisen und störe deren Verfechter mit meinen Argumenten. Das ist alles.
Aber bleiben wir bei dem Wort „Verschwörungstheorie“. Bekanntlich werden die Verfechter des erfundenen Mittelalters heute nicht mehr als religiöse Sektierer gebrandmarkt, sondern wesentlich effizienter als Verschwörungstheoretiker. Insofern wurde „das erfundene Mittelalter“ sogar zwei Jahre lang an der Spitze der wüstesten Verschwörungstheorien geführt, noch vor der Reptiloidenherrschaft und vor 9/11. Da durfte man gespannt sein, wenn im Kloster Dalheim nahe Paderborn eine Ausstellung stattfindet unter dem Titel: „Verschwörungstheorien – früher und heute“. Sie läuft bis zum 22. März 2020. Bereits die Laufzeit, die Zahl der Sponsoren (insgesamt werden 15 Förderer auf den Seiten 3 und 301 des Katalogs [Grabovsky] genannt) und die Schirmherrschaft des Bundespräsidenten signalisieren, dass großer Aufklärungsbedarf zu bestehen scheint.
Im Katalog [S. 10] gibt es gleich eingangs vier Definitionen, die sich in ihrer Tragweite massiv unterscheiden.
Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber sieht in einer Verschwörung „eine bewusst geheime, also nicht öffentliche Vereinbarung zwischen zwei oder mehr Personen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen“. Demnach wäre auch die Absprache hinter dem Rücken eines Geburtstagskindes zum Zwecke seiner Überraschung ebenso eine Verschwörung wie der Mord an Gaius Julius Caesar. Das eröffnet ein hinreichend weites Feld, um jeden als Verschwörungstheoretiker ins Visier zu nehmen. Prof. Michael Butter will sich nicht auf Geburtstagsgags einlassen und definiert als Prinzip der Verschwörungstheorie ein idealerweise globales Ereignis:
„eine im Geheimen operierende Gruppe, nämlich die Verschwörer, [versucht] aus niederen Beweggründen […] eine Institution, ein Land oder gar zu ganze Welt zu kontrollieren oder zu zerstören.“
Mit Hilfe dieser Definition können in der Ausstellung die schlimmsten Verschwörungstheorien präsentiert werden, als da sind: Verschwörungen im hohen und späten Mittelalter, die Papisten-Verschwörung in England, die Illuminaten, die Protokolle der Weisen von Zion, nationalsozialistische Verschwörungstheorien, solche aus dem Kalten Krieg und im 21. Jahrhundert, noch einmal nationalsozialistische Verschwörungstheorien mit Blick auf Wunderwaffen etc. und schließlich das Pulverkomplott in Luxemburg von 1730. Verfolgt „das erfundene Mittelalter“ vergleichbare Absichten? Nein, es passt überhaupt nicht dazu und wird im Textteil auch nicht erwähnt. Aber in der Ausstellung ist es dennoch enthalten, gibt es doch ein paar Quadratmeter für „Verlorenes Vertrauen – Verschwörungstheorien heute“.
Erste Abteilung: „Der Holocaust als Erfindung?“ mit den Rubriken „Volksverhetzung“, Jüdisches Komplott?“, „Pseudo-Wissenschaft“ und „Karikaturen-Wettbewerb“ einer islamischen Universität.
Zweite Abteilung „Gefälschte Geschichte? mit den Rubriken „Erfundene Jahrhunderte“ und meinem Buch „Das erfundene Mittelalter“, und „Alternative Geschichtsschreibung“ für Anatolji Fomenkos Bücher.
Dritte Abteilung „Klimaschwindel?“, gefolgt von den Abteilungen „Gift aus der Spritze?“ (Stichwort: Impfgegner), „Staatlicher Auftragsmord?“ (Stichwort: Stammheim), „Operation unter falscher Flagge?“ (Stichwort: 9/11), „Gelenkte Medien?“, „Deutschland-GmbH?“, „Gift am Himmel?“ (Stichwort: Chemtrails) und so weiter.
Einmal mehr frage ich mich, wie meine Ideen in eine derartige Aufstellung kommen. Bezeichnenderweise wird im Katalog [S. 229] nichts angefügt, was den Eintrag rechtfertigen würde, anders als etwa bei Fomenko auf derselben Seite, denn der „versucht, die Geschichte umzudeuten“, um „Machtansprüche zu belegen. Viele große Kulturleistungen und Staatsbildungen seien eigentlich den Russen zuzuschreiben, was die Geschichtsschreibung bislang verschleiere.“ Bei Fomenko geht es tatsächlich um staatlich geförderte Geschichtsklitterung.
Mein Eintrag verweist hingegen nur darauf: „Die historischen Quellen seien schon im Mittelalter gefälscht worden oder würden heute falsch datiert. Illigs Bücher sind teilweise Bestseller.“ Der erste Satz beschreibt wissenschaftlichen Alltag. Der zweite Satz des Zitats könnte die eigentliche Ursache sein. Mediävisten sind auf Bucherfolge neidisch, obwohl sie wenig Grund dazu hätten. Immerhin habe ich ihr Orchideenfach nach Umberto Eco erneut aufgewertet und ihnen nach ihrem eigenen Bekunden beträchtliche Forschungsgelder eingespielt, damit sie unter anderem mich widerlegen können. Dabei bleibt offen – siehe Zitat Butter –, wo beim erfundenen Mittelalter die niederen Beweggründe lauern, welche Institution, welches Land von mir und meinem Mantis Verlag kontrolliert oder gar zerstört werden soll – vielleicht gar die ganze Welt! Hier ließe sich zwanglos das Wort „Facebook“ einsetzen, doch welcher Ausstellungsmacher würde eine Aktiengesellschaft kritisieren, die doch lediglich ihren Gewinn steigern möchte? Es ginge anders als beim erfundenen Mittelalter auch nur um einen Börsenwert von 512 Mrd. $.
So viel ist klargeworden: Verschwörungstheorien werden ausgedacht, um gewisse Ideen gründlich zu diskreditieren. Die Auswahl ist rein willkürlich und folgt den unterschiedlichsten Zwecken, ob das nun das Renommee eines Staates, die Interessen einer Wirtschaftsbranche oder widerlegte Lehrstuhlinhaber sind. Hier kommt nun die Definition des Historikers Helmut Reinalter zum Tragen, die ebenfalls auf der einleitenden Seite 10 steht: Er
„definiert die Verschwörungstheorie allgemein als »den Versuch, Ereignisse, Zustände, Zusammenhänge und Entwicklungen ausschließlich unter dem Aspekt einer dahinterliegenden Verschwörung zu deuten.«“
Hier geht es also um Menschen, die sich Verschwörungstheorien ausdenken. Das sind aber nicht die, die seltsame Erklärungen abgeben, sondern jene, die daraus erst eine Theorie machen. Wer ein Ereignis oder eine Äußerung ausschließlich unter dem Aspekt einer Verschwörung deuten will, der erfindet – selbstverständlich – eine Verschwörungstheorie. Man nennt das Tautologie. Anders formuliert: Wer eine Verschwörung sucht, wird sie auch finden, im Zweifelsfall beim politischen, gesellschaftlichen oder wissenschaftlichen Gegner. Und so lassen sich beliebig ersonnene Verschwörungstheorien ganz leicht zur Rufschädigung einsetzen. Das hätte allerdings keiner Ausstellung bedurft, das lässt sich allerorten verfolgen.
Literatur
Grabovsky, Ingo (Hg., 2019): Verschwörungstheorien früher und heute. Katalog zur Sonderausstellung der Stiftung Kloster Dalheim. LWL-Landesmuseum für Klosterkultur 18. Mai 2019 bis 22. März 2020, herausgegeben von der Stiftung Kloster Dalheim LWL Landesmuseum für Klosterkultur; Ardey, Münster
Herman, Eva (2019): Blutgericht Europa. Karl der Große als Ursache für den Untergang Deutschlands und Europas; Edition Eva Herman, 260 Seiten.
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