von Heribert Illig
Im August gab es einmal mehr Aufregung um den Karlsgraben. Dabei hätten die Spezialisten gedacht, mit der 14C-Bestimmungen der im Kanal verbauten Hölzer seien alle Zweifel beseitigt. Doch es war Wolf Pecher, der einmal mehr für die Römer als Baumeister plädiert. Er hält die Führung der Kanal-Trasse für „stümperhaft“, weil die erhaltenen Wälle klug geführt seien, dann aber die Trasse mit einer „abrupten 90-Grad-Wende“ in den Sumpf geführt worden sei. Um dieses Dilemma zu beheben, imaginiert er nach den römischen Baumeistern noch fränkische Kanalbauer, für ihn „Karls Schlammwutzler“.
Er liest er aus den Reichsannalen heraus, dass sie „Bezug auf ein bereits vorhandenes Bauwerk nehmen“ [Pecher]. Doch das lässt sich trotz Zitierens der entsprechenden Annalen-Passage nicht nachvollziehen.
Pecher hält es für augenscheinlich, dass die Römer mit den erhaltenen Wällen und ihrem weiteren Ausbau den Schambach in das Kanalbett leiten wollten. Dafür muss er allerdings beim Ort Graben einen kleinen Hafen imaginieren, der „mit einer Art Schleuse geschlossen“ worden wäre. „Die Schiff wären über eine Rutsche die sechs Meter hinab und hinauf transportiert worden. Von dem Becken in Graben hätte problemlos ein Kanal in die nahe Altmühl ausgehoben werden können.“
Dieses umständliche, den Römern überhaupt nicht entsprechende System wäre um 90 nach Chr. gebaut worden, als das Kastell Biriciana gegründet worden wäre, das heutige Weißenburg [Pecher].
Verständlicherweise gab es eine Gegenstimme, die des Naturparkführers Roland Starigk. Er betont, dass der Kanal laut den 14C-Daten der verbauten Hölzer im Norden begonnen worden, die Trasse also vom Sumpf ins Trockene gebaut worden sei. Wenn die Daten stimmen, wäre dies ein Punkt gegen die Reichsannalen.
Dann fällt ihm an der Trasse auf, dass sie keineswegs stümperhaft, sondern fast identisch ist mit heutigen Computersimulationen. Starigk: „Die damaligen Gelehrten – meist Priester – hatten offenbar ein enormes Wissen.“ Doch unter den Karolingern gab es kein Wissen um Kanalbau, weil kein weiteres Projekt von ihnen bekannt ist. Dieser Punkt geht an die Römer.
Computersimulation bestimmt auch das Aushubvolumen beim Scheitelkanal. Es sollen 297.000 Kubikmeter Erde gewesen sein. Doch die vorhandenen Wälle fassen nur 120.000 Kubikmeter. Es fehlen also 177.000 Kubikmeter Aushub. Da niemand weiß, wohin dieser Aushub verschwunden ist, zählt das Argument weder für Römer noch für Karolinger.
Bohrungen ergaben, dass der Talboden vor dem Kanalbau unberührt war. Auch das spricht weder für die Römer noch für die Franken.
Aber jetzt: „»Die Römer hatten ein gutes Straßennetz und keinen Bedarf für einen Kanal«, so Starigk. Die »Reisekönige« des Frankenreichs hätten Wasserwege dagegen sehr geschätzt.“ [Shaw]. Wie allgemein bekannt hatten die Römer sowohl ein gutes Straßennetz als auch ein gutes Kanalnetz [vgl. Illig 2019]. Die Karolinger bauten keine Straßen und befuhren deshalb Flüsse. Warum sie nur einen einzigen Kanal in ihrem Riesenreich gebaut hätten, kann niemand beantworten. Das notwendige Knowhow hatten sie auf keinen Fall (s.o.).
Würde Starigk den Holzdaten Glauben schenken, müsste er sich nicht vergeblich bemühen, Karl dem Großen die Stange zu halten: „Es waren die Karolinger, die hier zuerst gegraben haben.“ [Shaw]
In und um Treuchtlingen ist übersehen worden, dass Werner Benecken (1932‒2015) im Jahr 2004 einen langen Artikel geschrieben hat, in dem er Nachweise für die Römer als Baumeister bringt. Allerdings hielt er Pechers Ausführungen zum Schambach und den hohen Wällen für „vollkommen unbegreiflich“.
Der Verfasser hatte 1996 [108] noch gegen Pechers Römer-These argumentiert, aber nach Beneckens Ausführungen verstanden, dass sich die Waage zugunsten der Römer neigt. 2014 hat er dann – in Abstimmung mit Benecken – die Römer-These selbst vertreten. 2018 war es Zeit, sich mit den aktuellen Forschungsarbeiten zur Fossa auseinanderzusetzen. Es dürfte illustrativ sein, all jene Fragen aufzuwerfen, die trotzdem offen blieben, ja bleiben mussten, wenn man an Karl als Bauherrn festhielt [Illig 2016, 346]:
„Unter Rückgriff auf ältere Arbeiten von Werner Benecken und des Autors lässt sich nun zusammenfassen: Nicht gewusst wird,
- woher die Arbeiter in diesem kaum besiedelten Gebiet kamen,
- wie sie in einem Hungerjahr im Dauerregen ernährt wurden.
- wo ihre Unterkünfte waren,
- wo ihre oder die nächste Siedlung lag,
- warum bislang kein einziges Werkzeug gefunden worden ist [Stanka 2016b],
- warum es in sehr weitem Umkreis kaum karolingische Funde gibt, gar keine von den Arbeitern [vgl. Illig 1996, 108 f.],
- warum sich ihre Kleidung nicht rekonstruieren lässt [vgl. Illig 1996, 110 f.],
- warum es keine Friedhöfe der Arbeiter gab, obwohl von bis zu 800 Toten ausgegangen wird [vgl. Benecken, 307];
- warum es ringsum sehr viele römische Funde/Siedlungen gab [Illig 2014, 317],
- warum keine Schiffsschleifstrecke gebaut wurde [Illig, 2014, 304 f.], zumal die Franken den Kanalbau nicht kannten;
- ob ein Weihersystem mit Absperrungen geplant war [Illig, 2014, 309],
- warum der Graben so stark geknickt ist [Benecken, 298],
- warum der Aushub im Mittelteil viel zu hoch aufgeschüttet wurde,
- warum der Aushub gereihten Schüttkegeln ähnelt [Benecken, 282-287],
- warum das Treideln durch diesen Aushub fast unmöglich wurde, obwohl die Kanalbreite nicht einmal Kähnen von fast 3 m Breite [vgl. Illig 2014, 312] das Rudern erlaubt, geschweige denn Gegenverkehr;
- warum der Aushub im Nordteil fehlt (wohin gebracht?),
- wie Wasser in den Scheitelkanal geleitet wurde [vgl. Illig 2014, 312 f.],
- warum der Kanal im Süden nicht vorangetrieben worden ist,
- wie beim Bau das Grundwasser abgeleitet werden konnte, obwohl es keinen Kanal zur Altmühl gab [Benecken, 290-292], ein sonst unbeachteter, doch gravierender Umstand;
- warum der Kanal im Norden, hin zur Rezat, viel kleiner ausfiel,
- warum die Rezat nicht schiffbar gemacht wurde,
- ob sich Schifffahrt wenigstens auf Altmühl und Rezat bestätigt,
- warum der Scheitelkanal mit dem auf 726 datierten Kanhave-Kanal verglichen wird, der 0,5 km lang auf Meeresniveau läuft [Illig, 2014, 304 f.];
- warum der nächste große Kanal erst 1179 bei Mailand gebaut wurde,
- ob und wo Schleusen gebaut werden sollten [Stanka 2016b],
- warum erst 1243 die ersten Stauschleusen entstanden [Illig 2014, 322],
- warum der nächste Scheitelkanal erst 1391, fast 600 Jahren später begonnen worden ist?
Selbst 14C-Datierungen können eine notwendige Diskussion nicht stoppen.
Literatur
Benecken, Werner (2004): Der so genannte Karlsgraben; Zeitensprünge, 16 (2) 279-308
Illig, Heribert (2019): Fossa Carolina – die unendliche Geschichte · Antwort auf Roland Knauer; zeitensprünge.de, 04. 04.
– (2018): Fossa carolina – das permanente Scheitern von Karl dem Großen; Zeitensprünge, 30 (1) 92 f.
– (2014): Römische Fossa Carolina; Zeitensprünge, 26 (2) 300-328
– (1996): Das erfundene Mittelalter; Econ, Düsseldorf, 104-112
Pecher, Wolf (2019): Haben schon die Römer den Karlsgraben gebaut? Kunsthistoriker präsentiert einen Gegenentwurf zur anerkannten Lehrmeinung; Nordbayern.de, Treuchtlinger Kurier, 05. 08.
Shaw, Patrick (2019): Rätsel Karlsgraben: Franken waren die Ersten; Nordbayern.de, Treuchtlinger Kurier, 17. 08.
Stanka, Hubert (2016b): Fast so bedeutend wie „Ötzi“ · Schiffbar oder nicht? Noch immer gibt es Interpretations-Spielraum und unterschiedliche Meinungen; Treuchtlinger Kurier, 01. 09.
– (2016a): Genau hier ließ Karl der Große die Schaufel fallen · Grabungsleiter Dr. Lukas Werther berichtete ausführlich über außergewöhnliche neue Befunde; Treuchtlinger Kurier, 29. 08.
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